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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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hochzuhieven, aber sie stieß mit dem Ellbogen nach ihm,
     und zwar so heftig, daß sie dabei alles vom Tisch warf: die Tasse mit dem Rest Kaffee, das leere Glas. Der volle Aschenbecher
     landete auf ihrem Schoß.
    »Hör mal, nimm mich wenigstens für eine Nebenrolle«, sagte Viktoria und betrachtete nachdenklich ihren mit Asche und Kippen
     übersäten weißen Rock. »Oder als Komparsin. Na komm, sei ein Mensch …«
    »Mach ich, Viktoria, unbedingt. Aber jetzt fahren wir nach Hause.« Der Regisseur wischte ihr mit einem Taschentuch Rock und
     Knie ab.
    Sie ging mit ihm hinaus und stieg in seinen Lada.
    »Du schickst mir also das Drehbuch, ja?«
    »Natürlich, Viktoria. Ich ruf dich an.«
    »Wann?«
    »Morgen.«
    Er fuhr sie nach Hause, brachte sie bis zur Wohnungstür, lehnte aber ihre mit trunkenen Tränen vorgebrachte Bitte ab, noch
     auf einen Tee mit hineinzukommen. Er übergab sie der mürrischen dünnen Nika und sagte mit einem flüchtigen Lächeln: »Du bist
     aber groß geworden, Mädchen. Als ich dich das letztemal gesehen habe, da warst du noch so klein und hast im Kinderwagen gesessen.
     Du bist jetzt zwölf, oder?«
    »Vierzehn.«
    »Ja? So was, wie die Zeit vergeht! Na dann, tschüß, Mädels.«
    »Ich erwarte deinen Anruf, ja? Und das Drehbuch«, rief Viktoria, als die Tür zuschlug.
    Er rief nicht an, nicht am nächsten Tag und auch nicht nach einer Woche. Viktoria zuckte bei jedem Telefonklingeln zusammen,
     stürzte an den Apparat, wobei sie Stühle und Hocker umwarf. Doch jedesmal war jemand anders dran.
    »Was ist das für ein Saustall hier?« schrie sie Nika an. »Ich bin doch nicht dein Dienstmädchen! Du hast wohl vergessen, daß
     deine Mutter Schauspielerin ist und keine Haushälterin!«
    Nika stellte schweigend die Stühle wieder auf, fegte und wischte das rissige Linoleum in der Küche.
    »Hast du deine Hausaufgaben gemacht? Warum bist du immer so düster? Warum hast du diesen scheußlichen Pulli an? Das sieht
     zum Kotzen aus.«
    Onkel Wolodja war zu Dreharbeiten in Mittelasien. Nika fühlte sich total einsam. Obwohl Mama sich auch vor ihmnicht genierte, sie anzuschreien. Das tat sie überall – auf der Straße, im Laden oder wenn sie zu Besuch waren. Zuschauer
     waren für Mama sogar ein Ansporn.
    »Sieh dich bloß mal an, wie du läufst! Du hast einen Gang wie ein Kerl. Ich schäme mich ja, neben dir zu gehen«, erklärte
     sie plötzlich und blieb mitten auf einer belebten Straße stehen. »Kannst du mir zuliebe mal aufhören, die Arme zu schwenken?
     Du bist schließlich ein Mädchen und kein Soldat!« Ihre Stimme wurde immer lauter, die Passanten drehten sich um.
    »Nein, nun seht doch bloß mal, wie sie die Gabel hält!« sagte sie zu den Gästen am Tisch. »Man könnte denken, sie wäre im
     Kuhstall aufgewachsen. Und was sie für ein Gesicht macht! Diese saure Miene verdirbt einem richtig den Appetit. Warum sagst
     du nichts? Antworte gefälligst, wenn deine Mutter mit dir spricht!«
    »Deine Mama ist besorgt um dich, sie möchte, daß du die Allerbeste bist«, erklärten die anderen Nika.
    Onkel Wolodja wagte nie, sich einzumischen, Nika in Schutz zu nehmen, denn er wußte, daß jeder Widerspruch nur Öl ins Feuer
     wäre. Er hatte Mitleid mit Nika, sagte ihr freundliche Worte, streichelte ihr das Haar, erklärte ihr, sie sei ein gutes Mädchen
     und ohne jede Schuld, Mama mache einfach eine schwere Zeit durch. Aber er war oft unterwegs, und dann war Nika mit Mama allein,
     und es wurde von Mal zu Mal schlimmer.
    »Ich kann diesen Pferdeschwanz nicht mehr sehen!« schrie Mama. »Los, komm her!« Mama kämmte sie, riß heftig an ihrem Haar
     und türmte es auf ihrem Kopf zu etwas Raffiniertem und, wie Nika fand, furchtbar Häßlichem.
    »Kannst du wenigstens ab und zu mal lächeln? Mir vergeht ja die Lust am Leben, wenn ich dein Gesicht sehe.Wenn du ein normales, fröhliches Kind wärst, hätte dein Vater sich nie aufgehängt!«
    Nikas Gesichtsmuskeln versteinerten; sie glaubte, sie könne nie wieder lächeln.
    Mama schrie so lange weiter, bis Nika anfing zu weinen. Dann beruhigte sie sich sofort und ignorierte Nika total. Der Boykott
     dauerte drei Tage bis eine Woche und endete jedesmal mit einer stürmischen Versöhnung. Mama umarmte und küßte Nika und sagte
     immer wieder: »Mein Mädchen, meine Beste, meine Einzige, du bist mein Leben, du bist mein ganzes Glück …«
    Nika hatte das Gefühl, als sei in der Ecke eine Kamera versteckt und Mamas trockene Augen schielten

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