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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Fotografen vor allem
     auf die Gesichter angekommen war.
    Auf den letzten beiden Fotos erkannte Leontjew Galina neben einem älteren, dicken Mann. Ein großes, sympathisches Gesicht,
     rotes Bärtchen, ein Kranz aus welligem rotem Haar um eine glänzende rosa Halbglatze. Sie standen vor einem nagelneuen kleinen
     Lada. Auf dem einen Foto küßte der Mann Galina galant die Hand. Auf dem anderen unterhielten sie sich – dieses Foto war offenkundig
     gemacht worden, um das Gesicht des Mannes möglichst groß und deutlich en face zu erwischen.
    »Die hier mit dem Jeep, die standen vor der Schule, dann sind sie langsam neben dem Bürgersteig hergefahren, als ich nach
     Hause ging. Später kamen sie in unsere Wohnung. Sie sagten zu Mama, sie würden mich vor ihren Augen vergewaltigen und umbringen,
     wenn sie das Geld nicht zurückzahlt. Und der Dicke mit dem Lada, der hat Mama den Schuldschein abgeschwatzt. Papa hat die
     Filme und die Fotos zusammen mit den Papieren mitgenommen und gesagt, ich dürfe niemandem je erzählen, daß ich diese Leute
     fotografiert habe. Aber für alle Fälle habe ich mir auch Abzüge gemacht, und nun sind sie ganz nützlich, sehen Sie.«
    »Von wo hast du denn die Fotos geschossen?« fragte Leontjew leise.
    »Aus dem Küchenfenster. Ich hab die Vorhänge vorgezogen und nur einen schmalen Spalt gelassen. Sie haben nichts bemerkt.«
    »Ein Irrenhaus!« schrie Galina plötzlich und griff sich an den Kopf.
    Die ganze Zeit hatte sie schweigend dagesessen. Die Fotos waren für sie ebenso eine Überraschung wie für den Hauptmann.
    »Ich wußte, daß es so enden würde«, sagte sie, die Stimme wieder etwas gedämpft und noch immer die Hände gegen die Schläfen
     gepreßt. »Ich habe Nikita so oft gewarnt!«
    »Verzeihung, wovon reden Sie?« fragte der Hauptmann irritiert.
    »Wissen Sie, Nikita hat ihr jedes Kapitel, das er geschrieben hat, laut vorgelesen, direkt vom Computer«, sprudelte sie hastig
     hervor. »Er hat sie buchstäblich mit seinen Krimis gefüttert. Mascha hat oft bei ihm gewohnt, sie war seine erste und wichtigste
     Zuhörerin. Und außerdem haben sie dauernd diese idiotischen Logikspiele gespielt. Ich habe immer gesagt, das ist schädlich,
     ich weiß das besser, ich binschließlich Psychologin. Er dachte sich für sie ein kurzes Sujet aus, eine ausweglose Situation, und Mascha suchte nach einer
     Lösung. Er hat das Kind gezwungen, sein Leben zu riskieren, zwar nur im Spiel, nur mit Worten, aber trotzdem, das ist doch
     furchtbar schädlich für die kindliche Psyche! Mein Gott, wenn die Banditen nun bemerkt hätten, daß Mascha sie fotografiert?
     Entschuldigen Sie …« Galina stand abrupt auf und lief aus dem Zimmer. Sie weinte, bekam Wimperntusche in die Augen, und schwarze
     Rinnsale flossen ihr übers Gesicht.

Neunzehntes Kapitel
    Felix Viktjuk, ein beleibter Sechzigjähriger, war immer galant. Er küßte jeder Dame die Hand, begrüßte jeden Mann mit kräftigem
     Händedruck, sah seinem Gesprächspartner offen und freundlich in die Augen und lächelte stets sanft, aufmunternd, mitfühlend,
     begeistert – je nachdem.
    Der studierte Jurist hatte vorzeiten in einer kleinen Anwaltskanzlei angefangen. Schäbige Tische, ein staubiger Gummibaum
     auf dem Fensterbrett, vorm Fenster die Beine der Passanten und lautes Schimpfen, weil diese Beine dauernd in die riesige,
     sommers wie winters unausrottbare Pfütze traten.
    Die Kanzlei lag in einem Souterrain in einer stillen Gasse im Zentrum von Moskau. Sie hatte nur wenige Klienten, die Fälle
     waren in der Regel langweilig und brachten kaum etwas ein, das Kollektiv war klein, aber äußerst streitsüchtig. Dünner schwarzer
     Tee mit Lebkuchen aus dem benachbarten Bäckerladen, körbeweise staubige Papiere, schwarze Ärmelschoner, die Klägerinnen Omas
     aus den umliegenden Gemeinschaftswohnungen. Eine ganz besondere, unausrottbarePapiermilbe, von der man Hautausschlag bekam, Hämorrhoiden vom vielen Sitzen, eine frühe Glatze (verursacht durch das väterliche
     Erbe oder durch schlichte Trostlosigkeit), ein weiches Bäuchlein – alles in allem war Viktjuk mit vierzig schon so gut wie
     alt.
    Früher einmal hatte er von einer glänzenden Anwaltskarriere geträumt. Aber sein kleiner, verfetteter Leib mit den schmalen
     Schultern, sein leises Falsett und seine matten, farblosen Augen hatten nichts Glänzendes. Das einzig Glänzende an ihm war
     seine Glatze, ansonsten war alles an ihm matt und farblos, selbst sein Geruch:

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