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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Zwecken.
    Dafür braucht man erstens einen Todeskandidaten, zweitens einen Kugelfisch, den man in der Sonne trocknen undzu Pulver zermahlen muß. Hat man keinen Kugelfisch zur Hand, tut es auch eine Kröte bufo marinus, die man allerdings vor dem
     Trocknen eine Nacht lang in einem verschlossenen Glas aufbewahren sollte, zusammen mit einem gefräßigen Egel. Der Egel nagt
     lange und schmerzhaft an der Kröte, und ihre Drüsen sondern vermehrt wertvolles Bufotoxin ab.
    Außerdem braucht man noch die Gallenblase eines toten Maultiers, weißes Talkum, schwarzes Pulver sowie diverse Kräuter. Das
     fertige Pulver mischt man in Speisen oder Getränke, oder man bläst dem Zombiekandidaten einfach eine Handvoll davon ins Gesicht.
     Der stirbt ganz normal, wird von seinen Angehörigen beweint und begraben, taucht aber plötzlich wieder auf – lebendig, aber
     nicht ganz.
    Das war im Grunde die vernünftigste Art von Mord. Das Opfer wurde nicht einfach vernichtet, nein – nach seinem Tod konnte
     der nutzlose tote Körper noch so etwas wie einen idealen Diener abgeben, der nichts kostete und treu ergeben war.
    Doch was Viktjuk jetzt beobachtete, erschien ihm noch viel unglaublicher. Ganz ohne Kugelfische oder Kröten wirkte der kleine
     Krummbeinige Wunder; er hätte die Menschen auf dem Fußboden um den kleinen Finger wickeln können, sie benutzen, wozu er wollte.
    Wenn der Guru es verlangt hätte, wären sie auf die Straße gerannt und hätten die nächste Sparkasse ausgeraubt oder ihm ihre
     sämtliche bewegliche und unbewegliche Habe überschrieben.
    Viktjuk befaßte sich sein Leben lang mit Juristerei und hielt sich für einen gebildeten, erfahrenen Mann. Er wußte, daß man
     das Gesetz umgehen konnte, aber das war schwierig und mühselig, zudem barg es immer das Risiko, erwischt zu werden. Nun sah
     er, es gab eine Art von Betrug, bei dem das Risiko faktisch gleich Null war.
    Später, als der Krummbeinige sein guter Freund geworden war, reagierte er auf dessen Gerede von Karma, Chakren und Astralen
     nur mit skeptischem Lächeln.
    »Das Licht und die Freude«, mit weltlichem Namen Kim Shanli, gebürtiger Koreaner, war einer der ersten Moskauer Emissäre der
     großen koreanischen Sekte »Maya, Licht und Freude«, die sich vor Jahren von Reverend Mun abgespalten hatte und seitdem selbständig
     agierte. An ihrer Spitze stand ein lebender Gott, ein ehemaliger Zirkusartist, der zweimal wegen Vergewaltigung verurteilte
     Sej Bon Dsan, ein achtzigjähriger Millionär. Die Kirche »Licht und Freude« hatte ihren Hauptsitz in Seoul, mehrere große Büros
     in Europa und in den USA und rund dreihunderttausend Anhänger in der ganzen Welt; Rußland war für sie bislang noch Neuland.
    Kim Shanli, einer der Apostel von Sej Bon, wurde als Pionier in das barbarische Land geschickt, um Anhänger zu werben und
     erste Kontakte zu Behörden zu knüpfen. Er sprach leidlich Russisch – sein Großvater stammte aus Brjansk.
    Der kleine koreanische Missionar mit einem Viertel russischen Blutes glaubte nicht an Mystik. Er ordnete sich die Menschen
     mühelos unter, indem er ihre ewigen, unausrottbaren Schwächen ausnutzte. Er war ein zynischer Verstandesmensch.
    »Zuerst muß man sie mit Liebe attackieren«, sagte Shanli. »Ich umgarne jeden mit zärtlicher väterlicher Liebe, ich lasse ihn
     nicht zu sich kommen. Man muß jedem erst einmal einreden, daß er etwas Besonderes ist, daß er eine Menge verborgener Vorzüge
     hat. Ich sage jedem das, was er schon immer hören wollte. Er ist ausgehungert nach einem freundlichen Wort, und ich füttere
     ihn damit bis zum Abwinken. An meinen Worten zu zweifeln würde für ihnbedeuten, an sich selbst zu zweifeln. Ich gewöhne ihm das Denken ab, und er ist glücklich. Weil ich ihm dieses Glück schenke,
     kommt er wieder zu mir, bald kann er nicht mehr leben, ohne ständig versichert zu bekommen, daß er außergewöhnlich ist, auserwählt.
     Dann gehen wir an die Lösung seiner vordringlichsten Probleme. Der Mensch ist doch im Grunde ein Tier. Denken ist für ihn
     eine schwere Plackerei. Ich nehme ihm das Denken ab. Und er ist glücklich. Er scheut sich nicht mehr, zu leben wie ein Tier:
     Gras zupfen, mit leeren Augen in den Himmel starren, muhen und an nichts denken.«
    Shanlis Gedanken waren kein bißchen originell, und hätte der Skeptiker Viktjuk nicht mit eigenen Augen beobachtet, wie erfolgreich
     der Guru seine unverschämt banale Theorie in die Praxis umsetzte, hätte er den

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