Fuer Wunder ist es nie zu spaet
so gemein, so verdammt gemein. Gestern,
als ich im Wasser stand und vorhatte . . .«
». . . als du vorhattest, dich umzubringen . . .«
». . . da habe ich plötzlich so einen inneren Frieden verspürt, weil
ich wusste, dass ich nicht mehr würde lügen müssen und nicht mehr so zwanghaft
fies sein. Das hat einen ungeheuren Frieden in mir erzeugt.«
»Du musst nicht sterben, um mit dem Lügen aufzuhören.«
»Nein.«
»Du musst einfach nur aufhören. Mir musst du nichts erklären, hör
einfach auf zu lügen.«
»Okay.«
»Wirst du dann jetzt aufhören damit?«
Karin streicht mit den Händen über ihr sandiges, verknittertes
Kleid.
»Ich werde es versuchen.«
»Mit mir ist auch etwas geschehen.«
»Was denn?«
»Ich weiß nicht genau, es ist so, als würde ich nicht mehr unter
Druck stehen, jemanden finden zu müssen. Als wäre ich damit zufrieden, nur ich
selbst zu sein. Das ist okay. Ich bin mit meiner eigenen Gesellschaft ganz
zufrieden, ich bin in Ordnung.«
»Ja, das bist du, Jens. Du bist in Ordnung.«
41
G ut, Alex! Großartig! Immer so weiter,
nicht nachlassen!«
Maja hält Alex unter dem Bauch, aber sie merkt, dass er
ohne ihr Zutun leichter wird.
Sie schwimmen in der geschützten Bucht, fast am anderen Ende von
Hjortholmen. Wie ein U verläuft sie zwischen den Klippen, ein U aus Sand, Brombeergestrüpp und Birken. An diesem Punkt der Insel hat man den
Eindruck, als wäre man weit von Schweden und dem Vänersee entfernt, in dieser
Bucht fühlt man sich einer anderen, geheimen Welt verbunden.
Die Sonne brennt auf Majas Haut, die perlenden Wassertropfen sind
sofort weggetrocknet. Vorsichtig lässt sie ihre Hände unter Alex’ Bauch ein
wenig sinken und lässt ihn seine Flügel ausprobieren. Und ja . . . er hat
Auftrieb! Mit einem Mal vermag Alex alle seine Muskeln zu steuern, er spannt
sie nicht nur zu einem einzigen harten Bogen an, sondern er steuert sie in
aller Ruhe. Sie hat es gespürt und schon an seinem Blick gesehen, dass er
jetzt, genau jetzt, so weit ist. Ohne etwas zu sagen, lässt sie ihre Hände noch
weiter sinken, und er schwimmt. Völlig allein.
»Du hältst mich doch, oder?«, ruft Alex beunruhigt.
»Natürlich, ich halte dich, schwimm du nur. Versuch mal, den Kopf
einzutauchen.«
Maja geht neben Alex her, der atemlos schwimmt, den Kopf eintaucht,
dann weiterschwimmt, wacklig zwar, aber in einer sicheren Linie vorwärts. Sie
eilt auf Zehenspitzen neben ihm her, und ein Glücksrausch schießt pulsierende
Feuerwerksraketen durch ihren Körper. Sie taugt doch etwas! Er kann schwimmen!
Sie, Maja, hat einem Patienten das Schwimmen beigebracht! Pardon, einem Schüler
natürlich.
»Ich glaube, du kannst bald den Freischwimmer machen!«
»Den Freischwimmer?«
»Bestimmt.«
Maja schwimmt neben ihm, lächelt breit, kriegt Wasser in den Mund,
spuckt aus, lächelt noch mehr. Alex sieht zu ihr hinüber, während er mit Beinen
und Armen kämpft.
»Schwimme ich?«
Maja nickt lächelnd.
»Ganz ruhig atmen, ruhige Schwimmzüge, jetzt nicht lockerlassen,
Alex.«
»Der Freischwimmer! Ich mache den Freischwimmer! Ich schwimme!«
»Wow! Da sind ja die beiden Vermissten!«
Channa klatscht in die Hände und winkt fröhlich. Sie liegt unter
einem Sonnenschirm am Pool, raucht und liest »Zehn kleine Negerlein« von Agatha
Christie in einer zerfledderten Ausgabe, die sie in der alten Schlossbibliothek
gefunden hat. Mads und Pugh sitzen am Granittisch und spielen Schach, Pelle und
Fatima ruhen auf ein paar Matratzen im Schatten der Apfelbäume. Sie massieren
sich gegenseitig die Füße, während Pedro daneben döst.
Karin greift sich schnell ein Handtuch, das über dem Stuhl hängt,
und reicht es Jens, der es sich dankbar umbindet.
»Pedro hat dich vermisst, Jens.«
Channa lächelt freundlich, legt das Buch zur Seite und nimmt einen
langen Zug von der Zigarette.
»Tut mir leid, dass ich einfach abgehauen bin, aber . . .«
»Er ist mir draußen begegnet, als ich schwimmen . . . schwimmen
geübt habe, und ich brauchte Hilfe. Ich war . . . traurig. Jens hat mich
gerettet.«
Karin sieht verstohlen zu Jens hinüber. Das war keine Lüge, sondern
die Wahrheit. In gewisser Weise.
»Channa macht doch nur Witze mit dir, Jens, mit mir ist alles in
Ordnung. Ich habe da drin sehr gut geschlafen.«
Pedro macht eine abwehrende Geste.
»Ich habe eine Idee«, sagt Pelle und mustert seine Freunde. »Könntet
ihr mir vielleicht helfen, ein bisschen Ordnung zu schaffen? Nicht viel,
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