Fuer Wunder ist es nie zu spaet
ihr gesagt hat, sie solle einen Tag freinehmen? Vorsichtig
massiert sie ihre steifen Schultern, setzt sich auf, schlägt die Decke zurück
und öffnet die weißen Gardinen einen Spalt.
Sie schaut über den Schlosshof, wo Pedro, Fatima, Mads, Pugh, Channa
und Pelle auf den großen Rasenflächen herumwandern und trockene Zweige
einsammeln. Mads hat sogar einen Rechen dabei, mit dem er herumscharrt. Pelle
zeigt in verschiedene Richtungen, und die anderen schaufeln Reisig, Gras und
Äste auf einen großen Haufen direkt am rechten Schlossflügel. Was will Pelle
denn ausgerechnet da mit einem großen Haufen Reisig? Hat er vielleicht irgendeine
Inspiration gehabt?
Josefin rollt ihre Schultern vor und zurück, schiebt die Beine über
die Bettkante und überlegt, was sie an diesem freien Tag machen wird.
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J ens trägt das Tablett mit Teekanne,
belegten Broten, frisch gepresstem Saft und Erdbeeren zum Bootssteg hinunter,
hinter ihm schlendert Karin im Bademantel mit zwei schön bestickten Kissen auf
dem Arm. Josefin kam in dem Moment in die Küche, als sie dastanden und auf der
Jagd nach einem späten Frühstück Tüten und Gläser herumschoben, und den Anblick
konnte Josefin dann doch nicht ertragen, also hat sie sie rausgeschickt und
schnell ein Tablett hergerichtet.
Karin wirft die Kissen auf den Steg, Jens setzt sich auf das eine
und stellt das Tablett neben sich ab. Kein Lüftchen weht, da ist nur diese
schicksalsschwangere Hitze, die kein Ende nehmen will. Karin lässt sich auf dem
anderen Kissen nieder, dreht das dunkle Haar zu einem Knoten auf und nimmt sich
eine Erdbeere. So sitzen sie nebeneinander, kauen gemächlich und strecken die
Beine auf dem sonnenwarmen Steg aus. Das Wasser schlägt glucksend an das Holz
des Stegs und die Plicht des Bootes.
»Eigentlich würde ich gar nicht hier sitzen.«
Karin kaut auf der Erdbeere und schaut über das ruhige glitzernde
Wasser.
»Eigentlich wäre ich tot. Wenn du mich nicht gefunden hättest.«
Sie sieht Jens in die Augen.
»Ist dir das klar? Du hast mich gerettet. Vielleicht wäre ich lieber
tot, aber irgendwie . . . ist es trotzdem schön, hier zu sein. Jetzt kann ich
versuchen, den ganzen Mist anzupacken.«
Jens nickt und beißt von seinem Brot ab. Der dänische Käse verbindet
sich angenehm mit dem bitteren Geschmack der Orangenmarmelade.
»Damals, als wir noch jung waren, hast du mir einen Brief
geschrieben, bevor du abgehauen bist.«
Karin setzt sich in den Schneidersitz und wickelt sich fester in den
Bademantel.
Jens fährt fort: »Erinnerst du dich?«
»Ja.«
»Du hast geschrieben, dass du mich liebst, dass wir aber nie
zusammen sein könnten, weil ich hässlich und dumm sei, und das sei unter deiner
Würde.«
»Ach ja, mein Gott . . .«
Karin legt bekümmert das Gesicht in die Hände und kneift die Augen
zusammen.
»Du hast es für selbstverständlich genommen, dass ich dich liebte
und dass ich dich haben wollte.«
»Ich schäme mich heute noch dafür.«
»Aber so war es gar nicht. Am Ende hatte ich fast Angst vor dir, und
damals, als du dir die Kleider vom Leib gerissen hast und . . .«
»Ganz ehrlich, ich will am liebsten gar nichts mehr davon hören,
Jens. Was soll ich sagen, ich war . . . nein, ich bin ein
so kaputter Mensch. Niemand hat mich je geliebt, wirklich niemand. Ich habe es
ganz und gar nicht für selbstverständlich genommen, dass du mich liebst, ich
war vielmehr überzeugt davon, dass du es nicht tust, und deshalb habe ich das
so geschrieben. Ach, ich weiß nicht. Ich wollte dich verletzen, wollte, dass es
dir genauso geht wie mir. Es ist so lange her, ich weiß es gar nicht mehr so
genau. Aber ich erinnere mich, dass ich dich geliebt habe. Wenn ich mir nun
schon Mühe gebe, ehrlich zu sein, kann ich das auch zugeben.«
Karin steht auf und geht nervös auf dem Steg auf und ab und kratzt
sich am Kopf. Jens sieht ihr erstaunt nach.
»Wie bitte?«
»Ja, ich habe dich geliebt, Jens. Hast du das nicht begriffen?«
»Wie hätte ich das begreifen können?«
»Stimmt, das war auch nicht leicht zu begreifen. Aber jetzt weißt du
es.«
Jens beißt von seinem Brot ab. Er denkt nach, kaut und sieht dann
verstohlen zu Karin, die immer noch unruhig auf und ab wandert. Dann fasst er
sich ein Herz.
»Ich war verliebt in dich, Karin. Du hattest etwas Besonderes an
dir, du warst so anders als ich und meine Familie. Du warst wild und . . .
verletzlich. Ich weiß nicht mehr genau, wie es war, aber bevor du mich zu oft
verletzt
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