Fürchte dich nicht!
sie so genau untersucht wurden. Niemand kann ausschließen, dass es weitere Infektionen, möglicherweise sogar Erkrankungen mit FSME gibt. Der Nachweis ist nicht einfach zu führen und man findet nur das, wonach man sucht. Viele FSME-Fälle werden übersehen, weil die Symptome denen einer Grippe ähneln. Nur bei etwa einem Drittel der Patienten tritt die schwerere Verlaufsform mit Hirnhaut- und Gehirnentzündung auf. Was ich damit sagen will: Entweder existiert ein isolierter Herd auf Norderney oder das Virus ist bereits in ganz Deutschland, wenn nicht weltweit auf dem Vormarsch. Letzteres würde bedeuten, dass wir lediglich die Ersten sind, die die Gefahr entdeckt haben. Beides, lokaler Herd oder weltweite Verbreitung, ist denkbar.«
»Aber Sie haben doch sicher eine Meinung«, schaltete sich Lange ein.
»Für eine Meinung …«
»… ist es noch zu früh, ich weiß. Ich möchte Ihr Bauchgefühl hören, nichts weiter.«
»Bauchgefühl?« Blechschmidt lächelte gequält. »Einen Wissenschaftler nach seinem Bauchgefühl zu fragen, ist so, als ob Sie von einem Fußballer verlangten, den Torschuss mathematisch zu berechnen.«
»Herr Professor Blechschmidt«, sagte Lange beißend, »wir sind hier nicht auf einem Wissenschaftskongress. Nichts von dem, was unter uns gesprochen wird, verlässt diesen Raum. Sie laufen also nicht Gefahr, Ihr Renommee zu beschädigen.«
Der Mikrobiologe schnaufte.
Jetzt gilt es, dachte Stegebach. Entweder gibt Blechschmidt klein bei oder es kommt zum offenen Konflikt.
»Bauchgefühl, na schön«, knurrte der Professor.
Stegebach verkniff sich ein Grinsen. Von jetzt an würde Blechschmidt über jedes Stöckchen springen, das Lange ihm hinhielt. Da waren sie wenigstens schon zwei.
»Mein Bauchgefühl sagt mir, dass das Problem nicht auf Norderney beschränkt ist. Wir haben einige ungewöhnliche FSME-Fälle in Großstädten, außerhalb der bekannten Risikogebiete. Das könnte ein Indiz sein, dass das Virus mutiert ist und sich auf neuen Wegen verbreitet. Klären lässt sich das erst, wenn wir weiteres Virusmaterial bekommen. Darum bemühen wir uns derzeit.«
»Sie bemühen sich«, wiederholte Lange sarkastisch. »Wie schön. Herr Professor, Sie ahnen sicher, worauf wir hinauswollen?«
»Nein.« Blechschmidt wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Das ist doch ganz einfach. Die entscheidende Frage, die sich uns unter Sicherheitsaspekten stellt, ist die: Handelt es sich wirklich um ein mutiertes Virus, das zufällig auf einer kleinen Nordseeinsel in Erscheinung tritt – oder hat jemand das Virus im Labor scharf gemacht und gezielt nach Norderney gebracht, um den Europäischen Gipfel zu sabotieren?«
»Aber«, stammelte Blechschmidt, »wer …«
»Wer so etwas tun sollte?«, schaltete sich George Clooney ein. »Da kann ich Ihnen eine ganze Reihe von Kandidaten nennen, angefangen bei Ökoterroristen. Ich rede hier nicht von Umweltaktivisten, wie wir sie aus Deutschland und Mitteleuropa kennen. In Großbritannien und den USA gibt es radikale Tierschützer, besser gesagt Menschenfeinde, die seit Längerem in ihren Internetforen über einen Vernichtungsfeldzug gegen die Menschheit nachdenken. Solche Gruppen würden nicht zögern, Zecken für ihre Zwecke einzusetzen. Und vergessen wir nicht El Kaida und andere islamische Terrororganisationen. Wir wissen, dass El Kaida jegliche Waffen, ob konventionell, atomar oder biologisch, gegen die verhassten Ungläubigen einsetzen würde.«
Heiner Stegebach spürte, wie der korpulente Mann neben ihm vor Aufregung vibrierte. Der Wissenschaftler stand kurz vor einer Explosion.
»Das ist in meinen Augen Unsinn«, ereiferte sich Blechschmidt. »FSME ist als biologische Waffe denkbar ungeeignet. Sie wird ausschließlich durch Zecken übertragen und gegen Zecken kann man sich wappnen. Wenn Sie wollen, nenne ich Ihnen Dutzende von Infektionskrankheiten, die sich leichter manipulieren, besser transportieren und gefährlicher verbreiten lassen. Warum, um Himmels willen, sollte jemand auf die hirnverbrannte Idee kommen, FSME zu benutzen? Allein an der herkömmlichen Grippe sterben in Deutschland jedes Jahr tausendmal mehr Menschen.«
Lange faltete seine Hände und wartete, bis die Attacke verhallt war.
Ein paar Sekunden lang herrschte Stille. Stegebach empfand so etwas wie Mitleid für Blechschmidt. Denn was jetzt kommen würde, war so absehbar wie der Rückzug der Gletscher auf Grönland. Lange musste den Wissenschaftler demütigen. Alles andere
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