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Fürchte dich nicht!

Fürchte dich nicht!

Titel: Fürchte dich nicht! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grafit
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Klingeln. »Viola! Wo bist du?«
    »Ich bin in …« Sie sah, dass Geis den Kopf schüttelte. »… nicht in Berlin.«
    »Das weiß ich. Ich habe mit deiner Nachbarin gesprochen. Sie sagt, du bist verreist.«
    »Stimmt.«
    »Wohin?«
    »Ich musste einfach mal ein paar Tage weg. Mich erholen.«

    »Das passt nicht zu dir, Viola.« Heiners Misstrauen kroch in ihr Ohr. »Ich hoffe, die Reise hängt nicht mit deinem Job zusammen. Mit dieser gewissen Sache, du weißt schon.«
    »Was wird das? Ein Verhör?«
    »Unsinn.« Heiner lachte halbherzig. »Ich mache mir Sorgen um dich. Ich möchte nicht, dass du dir deine Zukunft verbaust.«
    Lügner, dachte sie. Du sorgst dich nicht um meine, sondern um deine eigene Zukunft. Weil irgendwer dir Feuer unter dem Hintern gemacht hat. »Rührend. Ich denke mehr an die Gesundheit der Menschen.«
    »Meinst du, wir nicht?«
    »Gibt es denn etwas Neues? Ist Professor Blechschmidt schon zu irgendwelchen Ergebnissen gekommen?«
    »Nein. Sie arbeiten noch dran.«
    Er log immer erbärmlicher. Und diesen Mann hatte sie mal geliebt.
    »Wann ist damit zu rechnen?«
    »Das wird noch eine Weile dauern. Sobald ich etwas erfahre, rufe ich dich an. Okay?«
    »Ja, danke. Ich muss Schluss machen, Heiner. Mein Taxi kommt gerade.«
    »Sie mauern.« Viola klappte das Handy zu. »Eine offizielle Warnung wird es nicht geben. Wenn wir das nicht machen …«
    »Wir?«
    »Warum nicht? Wir könnten den Medien Informationen zuspielen. Über den Redakteur einer Nachrichtenagentur, mit dem ich schon oft zusammengearbeitet habe. Wenn ich ihn bitte, meinen Namen nicht zu erwähnen, wird er sich daran halten.«
    Martin wartete, bis ein Jogger außer Hörweite war. »Sobald das rauskommt …«
    »… verlier ich wahrscheinlich meinen Job. In dem ich gerade jetzt am meisten gebraucht würde. Die haben mich kaltgestellt, verstehst du? Die hindern mich daran, das zu tun, was ich am besten kann. Also bin ich niemandem zu Loyalität verpflichtet. Ich komm schon zurecht. Was ist mit dir? Bist du dabei?«
    »Ich habe nichts mehr zu verlieren.«
    »Na dann!« Viola lachte. »Ich habe Angst. Aber die habe ich sowieso.«

23
Betreff: Alarm in der Amygdala

    Letztlich ist es Biochemie. Die Amygdala, jener mandelförmige Verbund von Nervenzellen im Gehirn, darauf spezialisiert, in bedrohlichen Situationen Kräfte zu mobilisieren, löst den Alarm aus. Die Amygdala regt die Hypophyse an, die Hypophyse aktiviert die Nebennierenrinde, die Nebennierenrinde produziert das Hormon Cortisol und Cortisol erledigt dann den Rest: Der Blutdruck steigt, die Atmung geht schneller, das Herz rast, in den Muskeln erweitern sich die Blutgefäße. Wir sind bereit. Zu kämpfen, zu fliehen, zu erstarren. Oder zu leiden.

    Denn der Amygdala ist es egal, ob uns ein Löwe angreift – oder eine Spinne an der Wand entlangkrabbelt. Ob uns jemand ein Messer an den Hals hält – oder eine Lampe merkwürdige Schatten wirft. Wir haben Angst vor Fahrstühlen und Prüfungen, vor großen Plätzen und hohen Türmen. Wir haben Angst vor dem Fliegen und davor, uns fallen zu lassen. Wir haben Angst vor anderen Menschen, vor denen, die uns ansprechen, vor denen, die uns ignorieren, und vor denen, die uns in Autos hinterherfahren. Wir haben Angst vor dem Versagen, vor Krankheiten und dem Tod. Wir haben Existenzängste, Berührungsängste und Zukunftsängste. Wir haben Angst, Menschen zu verlieren, die uns nahestehen. Wir haben Angst vor dem Alleinsein oder vor dem Unglücklichsein. Vor der nächsten Nacht oder dem nächsten Tag. Wir haben eigentlich immer Angst. Wir haben Angst vor der Angst. Vor der nächsten Panikattacke, davor, dass der Blutdruck steigt, das Herz rast, vor Hyperventilation und dem Gefühl, sterben zu müssen. Die Amygdala macht Alarm, weil die Amygdala Alarm machen könnte.

    Irgendwann war das Alarmsystem sinnvoll. Als wir in Höhlen lebten, als wir Jäger und Krieger waren, als wir große Tiere erlegen oder unsere Horde verteidigen mussten. Als es den Unterschied zwischen realen und eingebildeten Ängsten noch nicht gab, weil jeder Tag lebensgefährlich war.

    Die Todesgefahren verringerten sich, doch die Amygdala blieb unverändert. Ein Überbleibsel aus unserer Vergangenheit, das nach Betätigung sucht. Und das sich, in Ermangelung von Löwen, Mammuts und feindlichen Horden, mit Spinnen, Mäusen und Fahrstühlen anfreundet.

    Viele Millionen Menschen leiden unter Phobien. Sie gehen zur Psychotherapie, schlucken Beruhigungsmittel und

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