Fürchte dich nicht!
angenommen haben.«
»Sie meinen: Ob jemand zum Mörder wird, steckt in den Genen?«
»Möglicherweise. Ja.«
»Wissen Sie, was ich merkwürdig finde?« Geis wartete, bis er die volle Aufmerksamkeit der Mikrobiologin hatte. »Ich habe das Wort Zecke oder FSME bis jetzt noch nicht gehört. Wo ist der Zusammenhang mit unseren Krankheitsfällen?«
»Das ist ja der Witz.« De Monti strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Professor Walter beschäftigt sich mit Angst. Damit, wie sich traumatische Erfahrungen in den Genen niederschlagen und wie man das verhindern kann. Und genau dasselbe Eiweiß, das bei Walters Mäusen das Angst-Gen blockiert, befindet sich auch in den mutierten FSME-Viren. Und offenbar wird das Protein von den Viren auf Menschen übertragen. Denn was bei allen bislang Infizierten auffällt, ist das Fehlen jeglicher Angst. «
»Heißt das, Ihr Professor Walter ist so etwas wie Dr. Frankenstein?«
Der Taxifahrer, der aussah wie ein Student im höheren Semester, grunzte. »Was für eine saublöde Frage.«
Das Gitter des kleinen Käfigs öffnete sich automatisch. Die Maus kam heraus und blickte sich schnuppernd um. Interessant waren in dem sterilen, weiß gekachelten Labor allerdings nur zwei Dinge: die getigerte Katze, die einen Meter von der Maus entfernt auf dem Boden hockte, die Vorderbeine gestreckt, den Kopf geduckt, anscheinend in Jagdlaune – und die Öffnung zu einem Tunnel auf der anderen Seite des Labors, groß genug für eine flüchtende Maus, zu klein für das verfolgende Raubtier. Doch anstatt zum Tunnel zu rennen und sich in Sicherheit zu bringen, trippelte die Maus auf die Katze zu, immer näher heran, bis sich die Tiere Auge in Auge gegenüberstanden.
Professor Walter, ein großer blonder Mann mit Wikingervollbart, beendete den Film mit einem Mausklick. »Das ist keine von unseren Mäusen, sondern ein japanisches Experiment. Die Japaner haben Zellen der Nasenschleimhaut gentechnisch manipuliert, den Mäusen fehlt dadurch der natürliche Fluchtinstinkt. Normale, nicht veränderte Mäuse verkrochen sich bei Vergleichstests entweder im Käfig oder suchten ihr Heil im Fluchttunnel. Womit bewiesen wäre, dass Angst nicht auf erlerntem, sozialem Verhalten beruht, sondern auf einer genetischen Codierung.«
»Was ist mit der Maus passiert?«, fragte Geis.
Walter lachte. »Sie hat überlebt. Diese Mäuse sind viel zu wertvoll, um sie als Katzenfutter zu opfern.«
Vor der Filmvorführung hatte der Direktor des Instituts seinen beiden Besuchern einen Einblick in die Forschungseinrichtung geboten. Geis durfte Geräte bestaunen, in denen Viren auf Weltraumtemperatur gekühlt oder Bakterien bei siebenunddreißig Grad Celsius geschüttelt wurden. Voller Stolz hatte Walter ein millionenteures Elektronenmikroskop der neuesten Generation präsentiert und einige andere Apparate erwähnt, deren Funktion der Polizist nicht einmal im Ansatz verstand. Auch die Begriffe, die Walter und de Monti bei ihrer Unterhaltung verwendeten, klangen für Geis japanischer als jede Handy-Bedienungsanleitung. Noch nie hatte er etwas von Reverser Genetik, Mutagenese und Rekombination gehört. Keine einzige vernünftige Frage fiel ihm dazu ein, deshalb hielt er sich an de Montis Rat – und den Mund.
Was er jedoch ohne Probleme registrierte, waren die umfangreichen Sicherheitsvorkehrungen, unter denen die Forschung stattfand. Der gesamte Laborbereich war abgeschirmt und nur mit personalisierten Chipkarten zu betreten. Jegliche Abfälle wurden erst einer speziellen Hitzebehandlung unterzogen und desinfiziert, bevor sie die Räume verlassen durften. Und die Mäuse, mit denen Professor Walter und sein Team experimentierten, konnten Geis und de Monti nur durch eine zentimeterdicke Panzerglasscheibe betrachten. Die Tiere lebten in einem Labor der Sicherheitsstufe drei, der zweithöchsten überhaupt. Zugang zu diesem Labor hatte nur ein kleiner Kreis ausgewählter und entsprechend geschulter Personen, die sich einer genau vorgeschriebenen Prozedur unterziehen mussten.
»Unsere Mäuse leben nicht so gefährlich wie die in Japan«, erklärte Walter. »Wenngleich ich zugeben muss, dass sie ihre unschönen Erfahrungen bewusster erleben. Denn schließlich sollen sie Angst bekommen.«
»Womit werden die Mäuse traumatisiert?«, fragte de Monti.
»Mit Elektroschocks. Sehen Sie hier!« Auf dem Computermonitor im Büro des Professors lief ein neuer Videofilm ab: Eine Maus saß regungslos in der Mitte einer Schachtel
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