Fürchte dich nicht!
nicht nehmen lassen, sie dazu zu zwingen, sich der Länge nach auf die feuchte Asche vor der Hütte zu legen. Doch dann, als sie mit auf dem Rücken gefesselten Händen wieder standen und der Kriminalrat vor ihnen herumtänzelte, während er Gift und Galle spuckte, hatte Viola den entscheidenden Satz gesagt: »An Ihrer Stelle würde ich etwas Abstand halten, auf meiner Haut krabbeln Dutzende von Zeckenlarven, die das neue Virus übertragen.« Geis konnte nicht anders, er musste einfach lachen – über Goroneks dummes Gesicht und den Sprung, mit dem er sich in Sicherheit brachte.
Pluspunkte hatte er damit natürlich nicht gesammelt. Andererseits waren die Beweise, die sich in Wesselings Behausung fanden, zu eindeutig, als dass man Viola und ihm die Anerkennung verweigern durfte. Obwohl er keine Zusicherung erhalten hatte, ging Geis davon aus, dass man die Ermittlungen gegen sie einstellen würde. Alles andere würde in der Öffentlichkeit einen Sturm der Entrüstung auslösen.
Viola bewegte sich und murmelte etwas. Geis beugte sich vor.
Bischoff ließ die Zeitung sinken. »Was sagt sie?«
»Es klang wie › Faust‹ . › Faust hat‹ oder so.«
»Faustin«, sagte Viola plötzlich klar und deutlich. »Dieses gottverdammte Schwein.«
»Sie wird wach.« Bischoff nestelte aufgeregt an dem Diktiergerät, das neben Violas Bett lag, und kontrollierte die Anzeige.
Die E-Mails, die Rainer Wesseling an Viola de Monti geschrieben und nie abgeschickt hatte, belegten, dass die Mikrobiologin den ehemaligen Missionar zu seinen Taten animiert hatte. Momentan war Viola deshalb die heißeste Spur, die die Polizei besaß. Bischoff und seine Kollegen warteten sehnsüchtig darauf, ihr endlich Fragen stellen zu können.
33
Kongo, nördlich von Kisangani
Der Wind, der durch die Ritzen drang, brachte keine Erleichterung. Er war heiß und verbreitete den Gestank von verfaultem Obst. Noella lag in ihren Armen. Wie alt mochte sie sein? Siebzehn? Achtzehn? Der schmale Körper in bunte Gewänder gehüllt, das Kraushaar zu kleinen Zöpfchen gebunden. Trotz aller Versuche, die Blutung zu stoppen, wurde der Fleck auf der Vorderseite des Kleides immer größer. Noella wimmerte. Sie hatten sie vergewaltigt, einer nach dem anderen. Und Viola hatte zusehen müssen. Das war Faustins Idee gewesen. Als Rache dafür, dass er sie nicht anrühren durfte. Sobald sie die Augen niederschlug, sobald sie auch nur einen Moment zur Seite schaute, schrie Noella vor Schmerzen, die Faustin ihr zufügte. Ein perverses Spiel. Viola übergab sich, sie kämpfte dagegen an, ohnmächtig zu werden, doch sie wandte den Blick nicht mehr ab. Von den schwarzen, schweißglänzenden Körpern, die sich über das Mädchen beugten, von den Glasscherben, Stöcken und Plastikteilen, die einige der Männer benutzten, um es zu quälen. Noella schrie, sie flehte ihre Vergewaltiger an. Die fanden das komisch und lachten. Und machten weiter. Bis Noella schwächer wurde. Bis sie nicht mehr die Kraft fand, zu schreien oder sich zu wehren. Nur noch ruhig dalag und stöhnte, ein Stöhnen, das Viola das Herz zerriss. Ab und zu bewegte Noella den Kopf und Viola sah ihre blutunterlaufenen verzweifelten Augen, die ins Leere blickten. Und dann war es endlich vorbei.
Noella schlug die Augen auf und starrte sie voller Schreck an.
»Ist schon gut«, sagte Viola. »Du bist in Sicherheit.«
Das Mädchen versuchte, sich aus ihren Armen zu befreien. Viola fiel ein, dass sie womöglich kein Englisch verstand, und sie wiederholte die Sätze auf Französisch. Diesmal zeigten sie Wirkung, Noella wurde ruhiger.
»Wo kommst du her?« Bislang kannte Viola nur ihren Namen, Faustin hatte ihn mit breitem Grinsen und einer obszönen Geste ausgesprochen.
»Dorf bei Walungu«, antwortete Noella mit brüchiger Stimme. »Durst.«
Viola gab ihr aus einer Plastikflasche zu trinken. Das Wasser stammte aus dem Expeditionsproviant und war der einzige Luxus, den die Banditen ihren Gefangenen gelassen hatten, wahrscheinlich aus Angst, sie könnten an Magen-Darm-Infektionen erkranken. Ansonsten vegetierte Viola in einem drei mal drei Meter großen Bretterverschlag vor sich hin, getrennt von den anderen Wissenschaftlern. Der einzige Mensch, dessen Stimme sie ab und zu vernahm, war ein Kerl im Verschlag nebenan, der hauptsächlich religiöse Formeln brabbelte. Anscheinend hatte ihm die Gefangenschaft oder eine Tropenkrankheit den Verstand geraubt.
Seit Tagen trug Viola dieselbe Kleidung, sie hatte sich weder
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