Fürchte dich nicht!
entkommst du mir nicht.«
Sie war eiskalt, nicht ängstlich, nur wütend. Doch gegen den größeren, stärkeren Mann hatte sie keine Chance. Er lag auf ihr, presste ihre Hände auf den Boden, riss ihr das T-Shirt vom Leib. Sie wehrte sich, strampelte, bekam Schläge auf den Kopf und – welch ein Glück – einen Finger zwischen die Zähne.
Sie biss zu.
Faustin schrie.
Es war nicht Faustin, der schrie.
Das Gesicht von Geis über ihr, der seinen Finger anstarrte. Blut, das auf die Bettdecke tropfte.
»Viola?« Er sah, dass sie ihn beobachtete.
Sie hatte den Falschen gebissen.
34
Münster, Universitätsklinik
»Nach allen medizinischen Erfahrungswerten dürfte keine Ansteckungsgefahr bestehen«, sagte der Arzt, der Geis’ Fingerverletzung behandelt hatte. »Allerdings wissen wir über die neue Krankheit zu wenig, um jedes Risiko ausschließen zu können. Also seien Sie aufmerksam und horchen Sie in Ihren Körper hinein! Sollten Sie in den nächsten achtundvierzig Stunden Kopfschmerzen, Fieber, überhaupt irgendein grippeähnliches Symptom bemerken – melden Sie sich sofort bei uns! Wir werden Sie dann zur Beobachtung aufnehmen und notfalls intensivmedizinisch behandeln. Wie Sie bei Frau de Monti gesehen haben, kann es sehr schnell kritisch werden.«
»Tolle Aussichten.« Geis starrte den mit Verbandsstoff umwickelten Mittelfinger an, als würde er ihn gerne zur Amputation freigeben. »Und prophylaktisch ist da gar nichts zu machen?«
»Leider nein.« Der Arzt tippte dem Kripomann auf die Schulter. »Es wird schon nicht so schlimm werden.«
Als Geis ein paar Minuten später wieder Violas Krankenzimmer betrat, redete die Mikrobiologin. Langsam zwar und mit vom tagelangen Dahindämmern kratziger Stimme, doch in klaren, verständlichen Sätzen.
»Auch wenn Sie mir nicht glauben«, sagte sie zu Bischoff, der ihr das Diktiergerät vor den Mund hielt, »ich kenne diesen Mann nicht, ich bin ihm nie begegnet. Mag ja sein …« Sie entdeckte Geis und opferte den Rest des Satzes zugunsten einer Grimasse, die man mit viel Fantasie als Lächeln interpretieren konnte. »Martin, ich freue mich, dich zu sehen.«
»Du hast mich zum Beißen gern, stimmt’s?« Er zeigte ihr den bandagierten Finger.
»Das wollte ich nicht. Ehrlich.«
»Ich glaube, du hast mich für einen Typen namens Faustin gehalten.« Geis setzte sich auf die Bettkante und hauchte Viola einen Kuss auf die schweißfeuchte Stirn.
»Es war ein Albtraum. Ein schlimmer Albtraum. Und wenn Frauen Albträume haben, sollte man ihnen keinen Finger in den Mund stecken.«
»In den Mund gesteckt?« Geis lachte. »Mein Finger war nur entfernt in Reichweite deines Mundes. Du hast zugeschnappt wie ein ausgehungertes Krokodil, das Jagd auf eine am Wasserloch trinkende Antilope macht.«
»Mach mich los, ja?« Sie zerrte an den Gurten, mit denen ihre Arme am Bett fixiert waren. »Ich möchte dich richtig begrüßen.«
Geis warf Bischoff einen fragenden Blick zu.
»Um noch einmal auf Rainer Wesseling zurückzukommen«, nahm dieser den Faden wieder auf. »Er hat Ihnen E-Mails geschrieben …«
»Die ich nie bekommen habe«, unterbrach ihn Viola harsch. »Ja, es stimmt, als ich im Kongo festgehalten wurde, war da so ein Kerl im Nachbarverschlag, der religiöses Zeug geredet hat. Aber wir sind uns nicht nähergekommen. Wir haben weder unsere Namen noch unsere Telefonnummern ausgetauscht. Nie im Leben wäre ich auf die Idee gekommen, dass unser Wesseling und dieser Mensch ein und dieselbe Person sind. Da er beim Geiselaustausch nicht dabei war, bin ich davon ausgegangen, dass ihn die Banditen umgebracht haben.«
»Und es hat Ihnen nicht zu denken gegeben, dass Wesseling ›Missionar‹ genannt wurde? Dass es hieß, er sei in Afrika gewesen? Er ist in Sie verliebt, Frau de Monti, das geht aus seinen Texten hervor. Und er beschreibt, wie er Ihre Nähe gesucht hat. Wollen Sie behaupten, davon nichts bemerkt zu haben? Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass Ihre Begegnung mit Wesseling im Kongo so unpersönlich war, wie Sie es hier schildern.«
»Hören Sie auf, mich zu nerven!«, fuhr Viola auf. »Wir hatten später keinen Kontakt. Millionen Menschen werden von anderen angehimmelt, ohne dass sie etwas davon merken. Alles, was Wesseling über mich weiß, kann er aus dem Internet erfahren haben. Der Mann ist ein Spinner, mehr nicht. Und jetzt gehen Sie bitte! Ich habe Martin seit Tagen nicht mehr geküsst.«
Bischoff starrte sie mit offenem Mund an. »Entschuldigung!
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