Fürchte dich nicht!
sich da alles holen konnte. Dann lieber einen Absacker an der Hotelbar trinken und von den Heldentaten schwärmen, die man fast begangen hätte.
Karla war mal in New York gewesen, hatte den nicht abreißenden Strom gelber Taxis gesehen und sich gefragt, wie die Kollegen über die Runden kamen. Und dann hatte es angefangen zu regnen. Und plötzlich gab es kein einziges freies Taxi mehr. Am Straßenrand standen Gruppen von durchnässten Menschen und warteten vergeblich. Fast schien es Karla, als würden die wenigen zum Mitfahren Berechtigten von den Taxifahrern ausgesucht.
Seitdem machte sie es genauso. Wählte bei geeignetem Wetter ihre Kunden aus. Ruhige Theaterbesucher zum Beispiel. Wie das ältere Paar da drüben, das wahrscheinlich das Schmidt-Theater besucht hatte.
Karla lenkte den Wagen an die Bordsteinkante. Sofort hing ein Milchbubi aus der Provinz in der Tür. »Nehmen Sie uns mit?«
»Ich habe nicht wegen euch angehalten.« Karla schaute zu dem älteren Paar. Die Frau drehte sich ab, offenbar hatte sie keine Lust auf einen Streit. Der Mann grimassierte entschuldigend.
»Na schön.« Geld musste trotzdem in die Kasse. »Dann steigt ein. Falls ihr euch benehmen könnt.«
Sie waren zu dritt. Noch feucht hinter den Ohren. In dem Alter, in dem sie nicht wussten, wann sie aufhören mussten zu trinken.
»Kotzt mir bloß nicht in den Wagen!«
»Bleib cool, Tante!«
Das fehlte ihr noch. Nicht nur betrunken, sondern auch noch dreist bis unter die von Mama gekämmten Löckchen.
Karla trat auf die Bremse. Hinter ihr hupte jemand wie wild. »Wollt ihr aussteigen?«
»Alles easy.« Milchbubi zeigte seine Handflächen. »Nur kein’ Stress!«
Der Wagen glitt wieder vorwärts und wich einem torkelnden Junkie aus. »Wohin soll’s gehen?«
»Hinterm Bahnhof da, Sankt Georg oder wie man das nennt.«
»Geht’s auch genauer?«
»Wie heißt die Straße, Männer?« Der Typ auf dem Beifahrersitz kroch fast über die Rückenlehne, fühlte sich wohl einsam ohne seine beiden Freunde, die mit viehischen Grunzlauten das Nachtleben kommentierten.
»Nebenan ist ein Sexshop«, sagte der eine.
»Davon gibt’s viele in Sankt Georg.«
»Pul… Pulver…«, stotterte der andere.
»Pulverteich«, half Karla.
»Exakt.« Erschöpft fiel Milchbubi auf den Vordersitz zurück.
»Guck dir das geile Tier an!« Einer von der Rückbank.
»Bestimmt völlig ausgeleiert. Wenn du mit der eine Nummer schiebst, ist das so, als ob du eine Salami in den Hausflur wirfst.«
Nein, das brauchte sie nicht. »Hört mal zu, Jungs: Das sind Frauen, denen ihr Respekt schuldet. Egal, womit sie ihr Geld verdienen. Oder gerade deswegen. Entweder ihr benehmt euch in meinem Taxi anständig oder ihr kriegt Ärger. Ist das klar?«
»Du willst doch unsere Kohle.« Der Typ hinter ihrem Ohr spuckte beim Reden kleine Speicheltröpfchen. »Also misch dich nicht ein, wenn sich Männer unterhalten.«
Karla fuhr in mäßigem Tempo geradeaus. Sankt Georg rückte in immer weitere Ferne, aber vermutlich hatte keiner ihrer Fahrgäste eine Ahnung von der Geografie Hamburgs. In Altona bog sie nach links ab, Richtung Elbe. Als die Hafenanlagen vor ihnen auftauchten, wurde Milchbubi munter: »Ist das nicht der Hafen?«
»Richtig.«
»Und was machen wir hier?«
»Anhalten.«
Der Parkplatz war schwach beleuchtet. Karla hatte keine Angst. Eigentlich nie gehabt. Sie brachte siebzig Kilo auf die Waage, ging dreimal pro Woche ins Fitnessstudio und hatte im Laufe ihres dreiundvierzigjährigen Lebens fast jede asiatische Kampfsportart ausprobiert. Während der Arbeit trug sie meist einen ausgeleierten Trainingsanzug, der ungefähr 1980 in der DDR voll im Trend gelegen hatte. Und wenn das Männer immer noch nicht davon abhielt, ihre Finger auf die Reise zu schicken, konnte sie eine echt harte Miene aufsetzen. Im Laufe der Jahre war sie nur zwei- oder dreimal in brenzlige Situationen geraten. Nicht oft für jemanden, der mit Vorliebe Nachtschichten abriss. Aber in letzter Zeit hatte sich trotzdem etwas verändert.
»Was is ’n los?« Der Spucker von der Rückbank war wohl weggedämmert.
Milchbubi rutschte dichter an die Seitentür. »Wir wollen keine Probleme. Bringen Sie uns einfach nach Sankt Georg.«
Karla legte ihre Hände auf die Oberschenkel. Sie war nicht angeschnallt. Als Taxifahrerin musste sie sich nicht anschnallen.
»Dein Freund soll aussteigen.«
»Ich glaube, ich spinne.« Der Kopf des Spuckers tauchte zwischen den Vordersitzen auf. »Die
Weitere Kostenlose Bücher