Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer
und seine schmalen Schultern verschwanden kurz unter seinen roten Haaren. »Nichts. Ich hab sie bloß gefragt, wo du bist. Da hat sie mir ihre aus ihrem roten Nuttenkleid quellenden Schlagsahnetitten entgegenstreckt und gesagt, dass du mit dem Waisenjungen in die Stadt runter bist. Ich bin ihr dann bis nach Hause gefolgt und hab ihre Eltern kennengelernt und dafür gesorgt, dass sie Bekanntschaft mit meinem kleinen Messer machen. Du würdest staunen, wie geschickt ich damit bin. Beim Händeschütteln hab ich die Klinge wie nebenbei über ihre Haut tanzen lassen, war ein Kinderspiel. Und als ich zehn Minuten später dort fertig war, bin ich Jack und dir nachgegangen, bis er uns zu der Leiche brachte. Wenn’s sein muss, kann ich total leise sein. Gib’s zu, du hast keinen Mucks von mir gehört, stimmt’s?«
Tränen liefen mir übers Gesicht und den Hals herunter. River war nicht der Teufel. Er war es nie gewesen. Dieser rothaarige Junge mit seinem Messer war es. Das wusste ich so sicher, wie ich wusste, wie Farbe roch, die auf einer Leinwand trocknete. So sicher, wie ich wusste, dass mein Herz gegen meine Rippen hämmerte.
»Sunshine ist von ihrem eigenen Vater mit einem Baseballschläger erschlagen worden. Mit einem Baseballschläger! « Meine Stimme klang so hoch und flehend wie von einem schwächlichen kleinen Mädchen und ich hasste mich dafür. »Sie ist schwer verletzt und vielleicht ist sie sogar …«
»Der brave Papa Sam. Das hat er gut gemacht.« Brodie hakte die Daumen in die Taschen seiner Jeans und ließ den Blick langsam an meinem Körper hinunterwandern. »Soll ich dir ein Geheimnis verraten, Violet?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich tu’s trotzdem. Also, ich lungere jetzt schon seit drei Tagen in diesem Scheißkaff herum. Du siehst überrascht aus, Violet. Tja, ging mir genauso, als ich erst den einen Bruder aufgespürt hatte und dann plötzlich auch noch der zweite hier auftauchte. Und beide sind zu dämlich, um mitzukriegen, dass ich auch da bin. Soll ich dir mal sagen, wer mich noch mehr nervt als du und River und euer Rumgeknutsche und das Geschwätz über sein Funkeln? Neely. Neely, der sich ständig mit irgendwem prügeln muss. Die Reise hierher ist von Anfang bis Ende einfach nur total öde gewesen. Ich musste unterwegs sogar eine Hexe verbrennen, um nicht vor Langeweile zu sterben.«
Brodie lächelte, als würde er sich gern daran erinnern. »Aber ich schweife vom Thema ab, Vi. Ich hab euch beobachtet. Also dich, River, Jack, Luke und das Rattenmädchen. Beim Pizzaessen. Beim Malen. Beim Schlafen. Oh ja. Die Fenster im Gästehaus stehen ja immer sperrangelweit offen, und wie oft ich schon in Citizen Kane gewesen bin, kann ich gar nicht mehr zählen. Ich hab alles gesehen. Alles gehört. Hast du nie daran gedacht, dass es ganz gut wäre, vielleicht ab und zu mal die Tür abzuschließen? Ich konnte in den letzten Tagen kommen und gehen, wann ich wollte. Ich hab euch dabei zugesehen, wie ihr gemeinsam gemalt habt und euch geküsst habt und dahergelaufene rothaarige Waisenjungen bei euch aufgenommen habt, die noch nicht mal …« Er beendete den Satz nicht. »Jedenfalls war es viel zu einfach. Und alles, was einfach ist, langweilt mich. Mit anderen Worten: Ich bin wahnsinnig gelangweilt, Violet. Zu Tode gelangweilt.«
»Dann warst du das also«, wisperte ich. »Du hast auf dem Dachboden gestanden und gelacht. Und du bist auch für den Tod des Jungen bei den Gleisen verantwortlich. Es war nicht so, dass River vergessen hätte, was er getan hat. Er hatte nichts getan.« Ich fühlte mich plötzlich unendlich schmutzig und nackt, und mir war schlecht vor Angst, und ich wollte nichts anderes, als mich wieder hinzulegen und aus diesem Albtraum aufzuwachen. Bloß dass es kein Traum war. Sunshine war wirklich schwer verletzt, und der dunkelhaarige Junge war wirklich tot, und alles würde nur noch schlimmer werden.
»Na, na, Violet. Jetzt übertreib mal nicht. So unschuldig ist River nun auch wieder nicht. Ja, es stimmt, dass ich meinen Blitz durch deinen italienischen Pizzaboy habe zucken lassen. Als ich diese verfallene Villa entdeckt habe, konnte ich einfach nicht widerstehen. Das war die perfekte Kulisse für eine Hexenverbrennung. Und alles ist super gelaufen, bis sich dieser Fäuste schwingende Schwachkopf Neely eingemischt hat. Aber der tote Junge neben den Gleisen ist ganz allein Rivers Werk gewesen. Sorry, Vi. Neely, der rührselige Vollidiot, hat nach dem Kerl gesucht und versucht, ihn
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