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Fürchtet euch

Fürchtet euch

Titel: Fürchtet euch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiley Cash
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er zu mir rübersah, aber ich blickte weiter geradeaus auf die Straße.
    »Hast du gewusst, dass dein Daddy mir mit dem Tabak geholfen hat, als er in deinem Alter war?« Ich schüttelte den Kopf. »Stimmt aber«, sagte er. »Ich hab früher auch ein paar Tabakfelder gehabt, und ich hab deinen Daddy mit aufs Feld genommen, als er ungefähr so groß war wie du. Jetzt hat dein Daddy auf den Feldern eine Riesenmenge Tabak, und jetzt helf ich ihm.« Ich spürte wieder seinen Blick auf mir, und ich drehte den Kopf und schaute aus meinem Fenster raus und sah zu, wie die felsigen Wände des Bergs im Dunkeln an dem Pick-up vorbeisausten.
    »Wir werden Hilfe gebrauchen können, wenn wir den Tabak reinholen und in der Scheune aufhängen«, sagte er. »Hättest du Interesse, zu helfen?«
    Ich antwortete nicht. Stattdessen legte ich den Kopf nach hinten an die Lehne und schloss die Augen und stellte mir vor, wie ich und Stump uns in der Scheune versteckten und Daddy und Mr Gant belauschten, so wie wir es gemacht hatten, bevor Mama uns erwischte und uns deshalb mit dem Gürtel verdrosch. Daddy und Mr Gant haben den Schlitten mit Burley beladen, und sie tragen ihn in die Scheune, wo es heiß und staubig und dunkel ist. Ich mag es, wie unsere Scheune riecht, und wenn der Tabak da oben hängt und trocknet, riecht sie leicht süß, und das gefällt mir noch mehr. Ich schaue zu, wie mein Daddy und ein paar andere Männer die Balken hoch bis unter die Decke klettern, und sie warten da oben, bis Mr Gant anfängt, den Tabak vom Schlitten zu zerren. Es ist ganz still, weil keiner von ihnen was anderes macht als schwer atmen und die Stangen mit Burley höher und höher nach oben zu Daddy reichen. Ich stelle mir vor, wie es ist, Daddy so hoch über dem Boden zu sehen. Und ich stelle mir vor, wie meine Hände, wenn ich mithelfen dürfte, ganz klebrig vom Teer würden und ich ihn mir von den Fingern knibbeln würde, während ich darauf warte, dass Mr Gant mir die nächste Ladung reicht, damit ich sie nach oben weitergebe, bis sie bei Daddy in den Dachsparren ankommt. Ich öffnete die Augen und warf meinem Grandpa einen raschen Blick zu.
    »Du wärst eine große Hilfe, wenn arbeiten dir nichts ausmacht«, sagte er. Dann sagte er: »Zeig mir mal deine Hand.«
    »Wieso?«, fragte ich.
    »Zeig sie mir einfach«, sagte er. Ich hielt ihm meine Hand hin, und er nahm sie. Seine Finger waren rau, und die Haut von seiner Handfläche fühlte sich dick und hart an. Er strich mit dem Daumen über meine Handfläche, und ich spürte, wie seine Hand zitterte und seine Finger zuckten, als könnte er sie nicht still halten. »Du hast welche«, sagte er. »Hatte ich mir schon gedacht.« Er ließ meine Hand los, und ich legte sie mir wieder auf den Schoß.
    »Ich hab was?«, fragte ich.
    »Farmerhände«, sagte er. »Du hast Hände wie dein Daddy. Jawohl«, sagte er, »genau wie dein Daddy.«
    Er drehte den Knopf am Radio und stellte einen Sender mit altmodischer Countrymusic ein.
    »Du kannst gern was anderes suchen«, sagte er.
    Gleich nach den ersten Klängen wusste ich, dass das ein Song von Patsy Cline war. Daddy hatte ihre Platten früher andauernd gespielt und versucht, Mama zu überreden, mit ihm zu tanzen. Er hatte gesagt, eine süßere, traurigere Stimme hätten die Berge nie hervorgebracht. Ich hörte ihr zu, und es war ein trauriger, langsamer Song, aber ich suchte keinen anderen Sender. Ich hatte keine Lust, was anderes zu hören.

    »Willst du was Kaltes zu trinken?«, fragte mich mein Grand- pa. Er war vom Highway auf den Parkplatz vor Messleys Laden gebogen und hielt mit dem Pick-up unter dem kleinen Dach an der Zapfsäule. Ich schüttelte den Kopf, weil er nicht denken sollte, er müsste mir was kaufen, nur damit ich mich mit ihm unterhielt.
    »Ich hol dir was, nur für alle Fälle«, sagte er. Er machte die Tür auf und stieg aus und knallte sie zu. Das Fenster auf der Fahrerseite war ganz runtergekurbelt, und er verschränkte die Arme, legte sie auf die Tür und sah zu mir rein. »Worauf hättest du Lust?«, fragte er.
    »Mir egal«, sagte ich.
    »Magst du Zitronenlimo?«
    »Von mir aus«, sagte ich.
    »Wie wär’s mit einem Nehi mit Pfirsichgeschmack?«
    »Mir egal«, sagte ich wieder.
    Er drehte sich um, und ich sah ihm nach, wie er aus dem Licht von der Lampe unter dem Dach trat und über den dunklen Parkplatz zu der mit Fliegendraht bespannten Tür ging, die in den Laden führte. Die Neonlampen da drin waren hell und ließen alles direkt

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