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Fürchtet euch

Fürchtet euch

Titel: Fürchtet euch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiley Cash
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waren, bis sie so weit weg waren, dass ich sie nicht mehr hören konnte. Ich wollte mit dem Stuhl nach hinten rücken und die Augen öffnen, aber ich konnte mich vor Müdigkeit kaum wach kriegen.
    Ich schob das Laken von mir runter und drehte mich zum Fenster, um nachzusehen, wohin die Schritte in meinem Traum gegangen waren. Es war draußen neblig geworden, doch ein bisschen sanftes Mondlicht schien auf das Feld. So, wie es aussah, dachte ich, dass ich vielleicht noch immer träumte. Zu sehen war da draußen niemand. Da war bloß das Feld von meinem Daddy und der Mond und die zirpenden Grillen und der Lufthauch, der die Blätter rascheln und das Windspiel klimpern ließ, das in dem Baum vorm Fenster hing. Der Tabak von meinem Daddy schwang im Wind hin und her, und ich blickte raus auf das Feld, bis mir die Augen schwer wurden und ich spürte, wie sie wieder schlafen gingen. Aber kurz bevor ich sie wieder geschlossen hatte, sah ich ein Licht auf dem Feld leuchten, und ich sah etwas, das sich weit draußen im Burley bewegte. Ich versuchte, die Augen ganz aufzumachen, um besser sehen zu können, aber ich war so schläfrig, dass ich nur undeutlich das Licht von der Lampe zu Füßen von meinem Grandpa sehen konnte, der mitten auf dem Feld unter dem Mond stand. Er hatte ein Burleymesser in der Hand, und er schnitt den Tabak von meinem Daddy.

11
    Clem Barefield
    Soweit ich mich erinnern kann, hatte ich Jimmy Hall dreimal in Handschellen, bevor mein Sohn starb: zweimal, weil er seine Frau verprügelt hatte, und einmal wegen »Trunkenheit und Erregung öffentlichen Ärgernisses« beim Footballmatch der Highschool. Ich konnte seine Frau kein einziges Mal dazu bringen, ihn anzuzeigen, nachdem ich den ganzen Weg nach Gunter Mountain gefahren war, um ihn ihr vorübergehend vom Hals zu schaffen. Bei dem Footballmatch hatte er sich bloß selbst die Zähne ausgeschlagen, als er auf der Zuschauertribüne die Stufen runterstürzte. Er war ein richtiger Scheißkerl, und obwohl er bei seiner Rückkehr nach Madison County seinen ältesten Enkelsohn nur noch tot gesehen hatte, fiel es mir schwer, Mitleid für ihn zu empfinden. Aber bei Ben ging es mir anders.
    Als ich sie zusammen sah, noch immer Vater und Sohn, ein alter Mann und ein junger Mann nach all den Jahren, konnte ich mir kaum noch vorstellen, dass ich einmal versucht hatte, Ben Hall vor seinem Daddy zu beschützen. Noch weniger vorstellbar war es, nachdem Ben sich auf dem Footballplatz oben in Cullowhee einen Namen gemacht hatte, noch weniger, wenn ich an meinen Sohn Jeff dachte, wie er in Madison tot am Straßenrand gelegen hatte. Ich war nie auf die Idee gekommen, dass ich auch meinen eigenen Jungen vor Jimmy Hall hätte beschützen müssen, und ich schätze, ich konnte es auch nicht wissen. Aber trotzdem, wenn ich über die Sache nachdenke, kann es passieren, dass ich stinksauer auf Jeff werde und stinksauer auf die Jungs, weil sie nicht den Mumm hatten oder den Verstand, sich darüber zu beschweren, dass er in dieser Verfassung zur Arbeit erschienen war, doch dann bremse ich mich.
Reg dich ab
, denke ich.
Der Einzige, auf den du stinksauer sein solltest, bist du selbst, weil du Jeff mit ihm hast mitgehen lassen. Du wusstest es besser als alle anderen.
Und das stimmt, und ich weiß das. Ich wusste es besser. Aber aus irgendeinem Grund habe ich Jeff nicht zurückgehalten. Ich habe Jimmy Hall meinen Sohn anvertraut, wo ich ihm nicht mal seinen eigenen Sohn anvertrauen wollte. Und dann denke ich,
Das geht auf deine Kappe, Clem. Dafür kannst du niemand anders verantwortlich machen als dich selbst.
    Ich habe schon oft gehört, dass jeder, der nicht aus der Vergangenheit lernt, sie zwangsläufig wiederholt, und ich weiß einfach nicht, was ich davon halten soll. Ich schätze, ich kann nicht viel damit anfangen. Die Vergangenheit belastet dich nur, wenn du zu viel drüber nachdenkst. Das ist so, wie wenn du zum Angeln hohe Gummistiefel anziehst und bis mitten in den Fluss watest, wo die Fische am besten beißen. Die Gummistiefel laufen voll, wenn du in zu tiefes Wasser gerätst, und wenn du blöderweise eine ganze Weile da draußen bleibst, wirst du unter Wasser gezogen, ohne dass du was dagegen tun kannst. Daran muss ich manch- mal denken, wenn mein Verstand erneut die Stimme meiner Sekretärin abspielt, die sich über Funk meldete. In meiner Erinnerung kommt es mir so vor, als würde ich sie tief unter Wasser hören, irgendwas von einer Explosion an den Hochspannungsleitungen

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