Fürchtet euch
die Zimmerdecke und schaute auf die Schatten, die das Mondlicht darüberbreitete. Ich konnte die Grillen draußen zirpen hören und das Klimpern von einem Windspiel, und in der Ferne hörte ich das Wasser in dem Bach unten am Hügel plätschern. Alles war genau wie immer, nur dass Stump nicht bei mir war. Ich drehte mich um und schaute auf seine Seite vom Bett, und ich strich mit der Hand über sein Kopfkissen. Es fühlte sich kühl an, nachdem ich die Hand im heißen Wasser hatte einweichen lassen, und ich konnte spüren, wo meine Haut ein bisschen offen war, nachdem mein Grandpa mit den Fingernägeln den Splitter gepackt und rausgezogen hatte.
Ich warf mein Kopfkissen auf den Fußboden neben das Bett und schob mir Stumps Kissen unter den Kopf. Es fühlte sich fast kalt an meinem Gesicht an, und eine Sekunde lang meinte ich, Stumps Haar riechen zu können. Es roch wie die Laken, die Mama zum Trocknen draußen auf die Leine hängte, wenn die Sonne richtig schön heiß schien. Ich schloss die Augen und strich mit der Hand über Stumps Seite des Betts, und ich stellte mir vor, er wäre nur kurz aufgestanden, um aufs Klo zu gehen, und ich lag da und horchte auf seine Schritte auf dem Flur.
Meine Augen waren schwer und schläfrig, als mein Grandpa ins Zimmer kam. Ich spürte, wie er sich aufs Bett setzte, und ich konnte den Zigarettenrauch in seinen Sachen riechen.
»Schläfst du, Kleiner?«, flüsterte er.
»Nein«, sagte ich. Er war still, und ich lag da und wartete, dass er wieder etwas sagte. Ich mochte es, wie der Rauch an ihm roch, und auf einmal hätte ich es schön gefunden, wenn Daddy auch rauchen würde.
»Es ist furchtbar, was heute passiert ist«, sagte er. »Es ist furchtbar, dass du das miterleben musstest.«
Ich öffnete die Augen ganz und schaute zum Fußende des Bettes, wo er saß. Das Licht im Flur brannte, und ich konnte so gerade eben sein Gesicht und die Umrisse seines Körpers sehen.
»Wann kommen meine Mom und mein Dad nach Hause?«, fragte ich ihn.
»Die kommen morgen nach Hause«, sagte er. »Vielleicht noch bevor du zur Schule aufstehst. Heute Nacht müssen sie sich um deinen Bruder kümmern.« Er sah aus, als würde er überlegen, ob er noch mehr sagen sollte, aber er tat es nicht. Er dachte sich wahrscheinlich, dass ich es nicht verstehen würde. Ich hätte ihm sagen können, dass ich schon eine Menge verstand. Ich hätte ihm sagen können, dass ich das mit dem Krankenwagen verstand, dass er auf dem Weg zu Miss Lyles Haus gewesen war, um Stump abzuholen, und dass sie ohne Blaulicht und Sirene gefahren waren, weil sie wussten, dass er schon tot war, und ich verstand, dass er jetzt wahrscheinlich im Krankenhaus war, mit Mama und Daddy, und dass eine ganze Reihe von Ärzten rauszufinden versuchten, was mit ihm passiert war. Er hätte gewusst, wie viel ich verstand, wenn er gewusst hätte, was ich und Joe Bill gesehen hatten.
Mein Grandpa streckte die Hand aus und tätschelte meine durch das Laken.
»Gute Nacht«, sagte er. Er stand auf.
»Wo bist du gewesen?«, fragte ich. Er stand da und sah zu mir runter.
»Draußen auf der Veranda«, sagte er.
»Ich meine, wo bist du die ganze Zeit gewesen?«, sagte ich. »Wieso haben ich und Stump dich vorher nie gesehen?« Ich wusste, dass Mama böse auf mich wäre, weil ich ihn das fragte, aber sie war nicht da, also fragte ich einfach. Er setzte sich ganz langsam wieder hin und blickte zur Zimmertür, als wartete er darauf, dass jemand reinkäme. Er seufzte, und ich merkte ihm an, dass er so eine Frage lieber nicht beantworten würde.
»Tja«, sagte er, »wenn du es wirklich wissen willst, ich war hier und dort, bin viel rumgekommen. Ich hab ein paar Jahre einen Sattelschlepper die Küste rauf- und runtergefahren, eine Weile als Trockenbauer gearbeitet, dann in einer Sägemühle in PA .«
»Was ist PA ?«, fragte ich.
»Pennsylvania«, sagte er.
»Aber warum warst du so lange weg?«
»Einfach so«, sagte er. »Ich bin einfach gegangen.«
»Warum?« Er saß still da, als würde er angestrengt überlegen, was er als Nächstes sagen sollte, und dann sah ich, wie sein Kopf sich drehte, als würde er mich über die Schulter ansehen.
»Weil wir manchmal Dinge tun, die wir nicht zurücknehmen können, und dann müssen wir gehen und Menschen verlassen, damit sie uns vergessen können.«
»Was hast du getan?«
»So allerhand«, sagte er. Dann sagte er: »Stellst du immer so viele Fragen?«
»Nein«, sagte ich. »Ich hab’s bloß wissen
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