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Fuerstin der Bettler

Fuerstin der Bettler

Titel: Fuerstin der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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Nach Sankt Sebastian, ins Leprosenhaus. Wollt Ihr zu ihr und sie Euch ansehen?«
    Wäre sie nicht beinahe besinnungslos gewesen vor Schmerzen, hätte Hannah laut herausgelacht. Der Fremde verneinte sofort, und seine Schritte entfernten sich hastig.
    »Schafft sie weg!«, war der letzte Satz, den sie noch hörte, dann klang es so, als schlüge eine schwere hölzerne Tür zu. Sie hörte noch einen Schlüssel sperren, dann war Stille.
    Doch Hannah hatte das Gefühl, als hätte der Wärter seinen Platz nicht verlassen. Er musste vor ihrer Zellentür stehen, oder in unmittelbarer Nähe, irgendwo da draußen im Dunkel des Durchgangs. Er hatte sie eben zum zweiten Mal gerettet. Obwohl Müdigkeit und Erschöpfung sie niederzwangen, lauschte sie dem Wärter.
    »Ihr seid doch die Apothekerin, nicht?«, flüsterte der Wärter.
    Hannah hätte ihm gern geantwortet, doch sie wusste, wie es um ihre Stimme stand. Also brummte sie nur.
    »Euren Mann – ich kenne ihn.«
    Wieder brummte Hannah mit einer gewissen Hoffnung in der Stimme.
    »Es war vor mehr als einem Jahr. Sicher erinnert Ihr Euch nicht mehr daran. Ich war bei Euch in der Apotheke. Euer Mann hat nicht gezögert, als ich ihm von Stephanie erzählt habe. Sofort hat er seine Sachen gepackt, sie mir in die Hand gedrückt und nur gesagt, ich solle vorausgehen.«
    Das Sprechen des Wärters war in ein ersticktes Schluchzen übergegangen. Hannah nahm an, dass er direkt vor dem in die Holztür der Zelle eingelassenen kleinen Gitter stand.
    »Ich werde jetzt aufschließen«, flüsterte er. »Ich komme zu Euch in die Zelle. Niemand wird Euch etwas tun.« Sie hörte, wie der Schlüssel sich im Schloss drehte, hörte das Quietschen der Tür, hörte seine Schritte. Hannah wunderte sich, wie sehr sich das Gehör schärfte, wenn das Augenlicht nicht zu gebrauchen war.
    »Euer Mann ... er hat damals meiner Stephanie geholfen. Eine gute Frau. Sie ist Wäscherin und hatte sich eine schwere Entzündung am Unterarm zugezogen. Die Wunde eiterte stark und Stephanie fieberte bald. Der Bader hatte ihr schon gesagt, er müsste den ganzen Arm ab dem Ellenbogen abnehmen, bevor das Fieber sie zerfräße. Wundbrand. Ein schreckliches Wort und ein Todesurteil. Stellt Euch nur vor, was das bedeutet hätte. Für mich, für unsere Kinder. Allein Euer Mann ... er hat sich meiner Stephanie angenommen. Sie durfte jeden Tag zu ihm kommen. Er hat ihr die Wunde zuerst mit dem Messer gesäubert, dann ausgebrannt und sie schließlich mit einem Mittel bestrichen und frisch verbunden. Eine Woche später war sie fieberfrei. Er war ein ... Engel, Euer Mann. Unser Engel.«
    Hannah sah die schemenhafte Gestalt des Wärters und hörte, wie er sich zu ihr auf den Boden der Zelle setzte. Seine Stimme, die die Worte nur geflüstert hatte, kämpfte mit der inneren Bewegung, die die Erinnerung hochspülte.
    Für eine Weile verstummte er, bis er sich wieder gefasst hatte. Dann erzählte er weiter. Langsam. Stockend. Er war das Sprechen nicht gewohnt, das hörte sie ihm an.
    Er erzählte ihr, wie die Wunde seiner Frau ganz langsam verheilt sei, wie sich endlich Schorf gebildet habe, wie der Schorf schließlich abgefallen sei, wie er die Narbe auf dem Arm seiner Stephanie geküsst habe, die sich dort gebildet hatte. Weißlich sei sie gewesen, stotterte er, weißlich und ein wenig eingesunken, so als würde ihr ein Stück Fleisch im Unterarm fehlen. »Sie wartet auf mich«, sagte er zuletzt. »Jetzt. Zu Hause. Und kann mich mit beiden Armen umfangen.« Die letzten Worte sprach er mit bebenden Lippen. »Das hat sie Eurem Mann zu verdanken.«
    Hannah seufzte. Einer Frau, die sie nicht einmal kannte, hatte sie also ihr Leben zu verdanken. Und dankbar war sie, wenn sie an die Tote dort im Wasserloch dachte. Sie hätte dem Mann so gern die Hand auf den Arm gelegt oder ihm sogar die Füße geküsst, doch sie war zu schwach. Und sie fror erbärmlich in den fadenscheinigen Fetzen der Toten, die inzwischen durch ihre nasse Haut feucht geworden waren.
    »Ich werde Euch laufen lassen«, flüsterte der Mann. »Aber Ihr müsst mir etwas versprechen: Verschwindet aus der Stadt. Bitte. Wenn jemand erfährt, dass Ihr überlebt habt und ich Euch herausgelassen habe, dann muss ich es büßen. Sie schlagen mir die Hände ab, und – wenn sie gnädig sind – auch den Kopf. Aber sie sind nicht gnädig.«
    Schweigen breitete sich aus, nur unterbrochen vom gelegentlichen Stöhnen aus den umliegenden Zellen.
    Hannah wälzte sich raschelnd von

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