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Fuerstin der Bettler

Fuerstin der Bettler

Titel: Fuerstin der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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Selbst ihre Blöße war ihr plötzlich gleichgültig. Sollte der Kerl nur hinschauen; außer einem zerschlagenen und verbrannten Körper sah er ohnehin nichts.
    »Jetzt nehmt schon. Die hier«, der Mann, den Hannah an der Stimme als den Wächter über ihr ausmachte, zeigte auf die zweite Frau, »braucht den Fetzen nicht mehr. Aber Euch könnte er helfen.«
    Endlich versuchte sie nach den Lumpen zu greifen, ihre Finger um das Stück Stoff zu schließen, doch es gelang ihr nicht.
    Währenddessen schleifte der Wächter die stumm Daliegende zum Wasserloch. Dann nahm er eine der Kerzen, entzündete damit eine Fackel und strich mit der Flamme über das Gesicht und die Arme der Frau, die dalag wie eine Wachspuppe. Er versengte ihr Haare und Haut. Danach löschte er die Fackel im Wasser und steckte sie zurück in die Halterung. Schließlich packte er die Frau bei den Schultern und ließ sie durch die Öffnung der Wasserzelle gleiten. Das Wasser stand bereits bis zur Lukendecke. Ganz langsam tauchte die Fremde in das schwarze Loch hinab. Dann warf der Wächter die Luke krachend zu und stieß die Frau so vollends in die Tiefe.
    Hannah begann laut zu wehklagen.
    »Jetzt habt Euch nicht so. Die Frau war schon tot. Pech für das Weib, aber Glück für Euch.« Der Wärter baute sich erneut über ihr auf. Im Halbdunkel des Verlieses konnte sie seine Augen nicht sehen. Es waren nur schwarze Höhlen in einem ansonsten gutmütigen Gesicht. Von irgendwoher kannte sie diese Miene, aber sie vermochte sich nicht zu erinnern, woher.
    »Was habt Ihr getan?«, fragte der Wärter flüsternd. Er kniete sich neben sie hin, doch Hannah zuckte zurück. »Ich will Euch nichts tun«, sagte er. »Ihr müsst nur das Kleid überziehen, schnell.«
    Er nahm sie am Arm, stützte sie ab und streifte ihr mit der anderen Hand umständlich den stinkenden Stofffetzen über. Dann hob er sie auf die Schulter, schleppte sie in einen anderen Raum und legte sie in der dunkelsten hinteren Ecke ab. »Bleibt ruhig. Kein Sterbenswort, sonst endet Ihr wie die Vettel da im Wasser«, zischte er ihr ins Ohr.
    Hannah kauerte sich in die Ecke, starr vor Angst und vor Schmerzen. Alles an ihr fühlte sich wund und offen an, sodass sie unwillkürlich zu wimmern begann.
    Kaum hatte der Wächter ihre Zelle verlassen und das Schloss abgesperrt, als auch schon gegen eine Tür geklopft wurde und die andere Stimme wieder zu hören war, so laut, dass Hannah alles verstehen konnte.
    »Ist das Loch vollgelaufen?«
    Eine Weile herrschte Schweigen, so als zögerte der Wächter mit der Antwort. »Ja, Herr«, hörte Hannah ihn dann sagen. »Aber das wird zusätzlich kosten. Ich muss jeden Eimer mit der Hand ...«
    »Jetzt komm mir nicht damit. Hier, ein Silberstück. Zeig mir das Weib, los, Kerl.«
    »Sie hat ... hat versucht zu schreien ...«, sagte der Wärter weiter.
    »Schluss jetzt, Kerl. Ich will sie sehen und mich überzeugen, dass du sie ersäuft hast. Erst dann habe ich meine Ruhe.«
    »Ihr werdet es sehen ...«
    Hannah hörte, wie das Fallgatter angehoben wurde und ein paar weitere Geräusche – offensichtlich wurde die armselige Tote aus dem Wasser gezogen.
    »Schaff sie weg. Hier ist ein ganzer Goldgulden. Mehr, als du im Monat verdienst.«
    »Zwei«, hörte sie den Wärter sagen, leise, aber bestimmt.
    »Willst du mich vielleicht erpressen?«, rief der Fremde aufgebracht. »Schließlich war nicht ich es, der das Weib ertränkt hat, sondern ...«
    »Zwei«, sagte der Wärter erneut.
    »Also gut. Hier, zwei rheinische Gulden. Aber kein Wort mehr.«
    In Hannahs Schmerzgedanken schlich sich Bewunderung für den Wärter. Mit der Erhöhung seiner Forderung hatte er nicht nur sein Salär aufgebessert, sondern auch den Fremden von der Toten abgelenkt.
    Wenn Hannah sich alles bisher Geschehene – ihre Rettung aus der Wasserzelle, den Tausch ihrer Kleidung mit der der Toten, die Worte des Wärters und dessen Verhandlungen mit dem Fremden – richtig zusammenreimte, dann wollte dieser Fremde offensichtlich sehen, ob sie, Hannah, wirklich ertrunken sei. Doch sein Ärger über die Bezahlung hatte ihn offensichtlich unaufmerksam werden lassen.
    Warum tat der Wächter das für sie?
    Vor ihrer Zelle hörte sie das Geräusch von Schritten – das unvermittelt abbrach.
    »Wer liegt hier drin?«, fragte der Fremde misstrauisch.
    »Ein Bettelweib«, sagte der Wärter und sperrte das Verlies unverzüglich auf. »Die Vettel hat vermutlich Lepra. Wir werden sie morgen vor die Stadt bringen.

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