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Fuerstin der Bettler

Fuerstin der Bettler

Titel: Fuerstin der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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einer Seite auf die andere.
    Schließlich stand eine Frage in der Stille, von der sie erst allmählich begriff, dass der Wärter sie gestellt hatte.
    »Was habt Ihr verbrochen?«
    Hannah verstand den Sinn dieses Satzes zunächst nicht.
    Was hätte sie ihm schon sagen sollen, selbst wenn sie dazu in der Lage gewesen wäre? Nichts hatte sie verbrochen. Nichts. Sie saß zu Unrecht in den Hexenlöchern. Wieder versuchte sie, dem Wärter etwas zu sagen, doch die Stimme versagte ihr. Was, wenn ihre Stimme nie wieder zurückkam?
    Ihr stöhnendes Brummen brachte dem Wärter offenbar in Erinnerung, dass das Sprechen ihr schwerfiel.
    »Ich hatte vergessen. Ihr könnt ja nicht reden. Was immer dieser Teufel mit Euch gemacht hat, Ihr verdient es nicht.«
    Hannah hörte, wie er in den Taschen seines Wamses suchte.
    »Hier, das stammt von der Toten. Sie hieß Röttel. Merkt Euch den Namen. Röttel. Mit diesem Namen war sie in der Liste der Stadtarmen geführt. Das hier ist ihre Bettelmarke.«
    Ein metallener Gegenstand klimperte neben ihr auf den steinernen Boden der Zelle. Unwillkürlich griff Hannah danach, obwohl sie solch eine Marke nie brauchen würde  – schließlich war sie die Frau des Apothekers. Sie schloss die Finger um das Metall und spürte die Kälte, die es verströmte.
    Hannah schwieg, und in ihrem Schweigen schien ihr ganzes Nichtverstehen mitzuschwingen. Sie schnaubte unwillig durch die Nase.
    »Oh, natürlich«, sagte der Wärter. »Ihr seid es nicht gewohnt, dass die Menschen keine christlichen Namen tragen.« Er ließ so etwas wie ein Lachen hören. Der Wärter schien Hannah durch die Dunkelheit hindurch anzustarren. »Doch wer keine Zukunft hat, braucht keinen christlichen Namen mehr. So blieb ihr einfach nur der Name Röttel.«
    Stille breitete sich aus, eine Stille, die schmerzte, dann räusperte der Wärter sich verlegen.
    »Ihr sollt Euren Mann ... mitsamt der Tochter ... im eigenen Haus verbrannt haben. Aber ich glaube das nicht. Ich kann es mir nicht vorstellen«, warf der Wärter hastig in den Raum. Er erhobsich, und sie hörte Zweifel in seiner Stimme. »Aber Euer Mann hat damals auch nicht gefragt, wer da zu ihm kommt und ihn um Hilfe bittet. Er hat einfach geholfen.« Wieder verstummte er, und Hannah begann sich zu fragen, warum er ihr das alles sagte. »Der Apotheker hat so freundlich von Euch gesprochen. Ich kann es mir nicht vorstellen.«
    Langsam begann sich in Hannahs Kopf alles zu drehen. Sie sollte das Feuer gelegt und Mann und Kind ...? Glaubte er das wirklich? Sie stöhnte laut auf. Was war das für eine verkehrte Welt? Sie hatte niemandem irgendetwas getan. Wenn sie doch nur ihre Stimme wiederhätte, sie würde ihm erklären können, was wirklich geschehen war.
    Langsam begann sich ein Bild zusammenzufügen. Ein Bild, das so grotesk war, dass sie es sofort wieder aus ihrem Kopf verscheuchte. Sie wurde als Brandstifterin angeklagt. Sie war angeblich die Mörderin ihrer Tochter und ihres Mannes. Doch wer verbreitete nur solche Schauermärchen? Und warum?

5
    B ruder Adilbert blickte sich verstohlen um. Er war allein im Scriptorium seines Klosters Sankt Ulrich und Afra. Rasch zog er aus der Schublade seines Stehpults einen Bogen Papier und legte ihn auf das Pergament, auf das er gerade Zeilen der »Vita Simperti«, der »Lebensgeschichte des heiligen Simpert«, kopierte. Dann schweifte sein Blick erneut durch den kleinen Raum. Noch immer war er allein.
    Rasch tauchte er die frisch gespitzte Feder in das Tintenfass und begann mit runden, weichen Buchstaben auf dem jungfräulichen Papier die ersten Zeilen des Brautlieds aus dem biblischen Hohelied in deutscher Sprache niederzuschreiben.
    »Schön bist du, meine Freundin, ja schön; deine Augen blicken wie Tauben hinter deinem Schleier hervor. Dein Haar gleicht einer Herde von Ziegen, die herabsteigt von Gileads Bergen.«
    Er liebte dieses Lied. Er liebte die Zeilen, die sich langsam, aber mit anschwellender Inbrunst steigerten und die Formen des Weiblichen in immer höheren Tönen zu preisen begannen.
    »Wie ein Streifen von Scharlach sind deine Lippen ...«, schrieb er und musste seiner Hand dabei befehlen, ruhig zu bleiben und sich dem gleichmäßigen Strich der Feder unterzuordnen, statt sich dem Zittern der Erregung hinzugeben, das mit jedem Wort, mit jeder Zeile, mit jedem Vers heftiger wurde.
    »Wie der Davidsturm ist dein Hals ...«, schrieb er aus dem Gedächtnis und fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen, voller

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