Fuerstin der Bettler
Vorfreude auf die beiden nächsten Verszeilen, diein seiner eigenen Sprache um so viel sinnlicher klangen als im spröden Latein.
»Deine beiden Brüste sind wie zwei Kitzlein, wie Zwillinge einer Ricke, die unter den Lilien ...«
Ein kleines Geräusch ließ ihn hochfahren. Jemand betrat den Raum. Das letzte Wort wurde durch einen Klecks schwarzer Tinte verunstaltet, und ein Fluch presste sich über Bruder Adilberts Lippen. »Herrgott, was stört Ihr mich?«
Die Arbeit für Bruder Medardus war dahin. Solch ein Geschmier würde er nicht entgegennehmen wollen. Und das bedeutete für Adilbert wiederum: kein zusätzlicher Krug Wein, kein zusätzlicher Zipfel Wurst und kein zusätzlicher Apfel.
Der Bruder hinter ihm sagte nichts, sondern lachte nur leise.
Bruder Adilbert streute rasch Sand über das Blatt und faltete es zusammen. Er stellte sich dabei so, dass der andere Mönch keinen Blick auf das Papier werfen konnte. Dann legte er es in die Schublade zurück. Erst jetzt, da niemand mehr lesen konnte, was er da geschrieben hatte, drehte er sich um.
»Oh«, entfuhr es ihm. »Wer seid Ihr? Ihr habt hier nichts zu suchen! Das ist das Scriptorium! Hier haben nur Mönche Zutritt.«
Die Gestalt vor ihm trug einen bodenlangen Umhang mit einer Kapuze, die er sich tief ins Gesicht gezogen hatte, sodass nur der Mund und das Kinn zu sehen waren. Ein sauber gestutzter Vollbart, weiß wie Schnee, umrahmte das Gesicht. Der Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Ich habe überall Zutritt.« Der Mann machte keinerlei Anstalten, sich aus dem Raum zu entfernen. Er ging um die vier Stehpulte herum, die dort im direkten Lichteinfall standen, und spähte in die aufgeschlagenen Werke, die kopiert wurden. Nun, diese enthielten keine Geheimnisse, und wenn Adilbert sich recht erinnerte, lagen gerade nur ein Altes Testament, ein Neues Testament und seine »Vita Simperti« auf den Pulten. Nichts, was verborgen werden musste.
Adilbert wusste nicht recht, was er tun sollte. Er warf einen schnellen Seitenblick zum Eingang des Scriptoriums, aber von dort erwartete er eigentlich keine Hilfe. Die meisten Brüder waren am späten Nachmittag im Garten oder mit eigenen Studien beschäftigt, weil die Lichtverhältnisse im Scriptorium für ihre Schreibarbeit nicht mehr ausreichten. Bruder Adilbert hatte diese ungestörte Zeit bewusst gewählt, um das Blatt für Bruder Medardus herzustellen. Der hatte ihn schon lange darum gebeten, und mit jedem Tag Warten war der Preis dafür gestiegen. Doch jetzt war nichts mehr aus dem Bruder Cellerar herauszukitzeln – und daher hatte er sich an die Arbeit machen wollen.
Bruder Adilbert räusperte sich und fasste wieder Mut. Der Mann vor ihm war ein Laie, so viel stand fest. Ihm war das Betreten des Konvents verboten. So viel stand ebenfalls fest. Dennoch strich er durch die Reihen der Stehpulte wie ein Hund und steckte seine Nase in alle Bücher. Das stand ganz offensichtlich fest. Und an diesem Umstand galt es ebenso offensichtlich etwas zu ändern.
»Raus hier!«, brüllte Bruder Adilbert in einem plötzlichen Anfall von Kühnheit. »Ihr dürft hier nicht sein!«
Der Fremde schaute auf, aus dem dunklen Loch der Kapuze starrte er ihn an, doch er wirkte keineswegs erschrocken.
»Ich darf das sehr wohl, Mönch«, sagte er seelenruhig und trat an das Schreibpult des Mönchs. Dann griff der Unbekannte rasch in die Schublade des Pults und zog das gefaltete Blatt Papier heraus, das Adilbert soeben dort hineingelegt hatte.
Der Fremde hielt es zwischen Zeigefinger und Mittelfinger und schwenkte es hin und her.
»Ihr schreibt auf Papier? Nicht auf Pergament? Dann wird es wohl eine Skizze sein oder eine Anmerkung, die noch überprüft werden muss. Oder irre ich mich womöglich?«
Verblüfft schüttelte der Mönch den Kopf. »Nein. Natürlichnicht. Eine Skizze. Jawohl, nicht mehr als das. Unwichtig. Gebt schon her.« Mit ausgestreckter Hand stand er da und forderte das Papier. Doch der Mann entfaltete das Papier rasch und begann zu lesen: »Deine beiden Brüste sind wie zwei Kitzlein, wie Zwillinge einer Ricke ...« Der Fremde hielt inne. Ein hohler Ton, der ebenso gut ein Lachen sein konnte wie eine Unmutsäußerung, drang aus der Kapuzenhöhle. »Höchst aufschlussreiche Skizzen«, murmelte er. »Ihr solltet noch ergänzen: Deine Gestalt ist der Palme gleich, deine Brüste sind wie Trauben. Oder den Vers, der mir der liebste ist aus dem Hohelied: Dein Schoß ist ein rundes Becken, es mangle ihm nie der gewürzte
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