Fuerstin der Bettler
nur meine Sorge sein. Ich fühle mich niemals zu schwach, wenn es darum geht, mein eigen Fleisch und Blut aus Aigens Klauen zu reißen.« Sie funkelte ihn an.
»Noch etwas müssen wir tun. Wenn Aigen die Kinder dorthin bringt, dann müssen die Fuhrwerke, die die Kinder einsammeln und herbringen, auch dort halten. Wir müssen von unseren Frauen verbreiten lassen, dass Aigens Transporte mit Aussätzigen zu tun haben, dass die Kinder womöglich Lepra übertragen. Das wird die Bürger von den Ständen und vielleicht von den Kindern fernhalten.«
»Es würde die Zukunft der Kinder zerstören, Röttel«, warf Bruder Adilbert düster ein. »Seid vorsichtig mit solchen Gerüchten.«
Doch Hannah rief die Schwarze Liss zu sich, setzte ihr die Geschichte auseinander, die sie eben von Bruder Adilbert erfahren hatte, und beauftragte sie, die Bettlerinnen, Stadtarmen und allen, die auf ihrer Seite standen, das Gerücht verbreiten zu lassen. »Das mit den Kindern lass weg«, ergänzte sie, nachdem sie in Bruder Adilberts düstere Miene geblickt hatte.
»Was machen wir mit der Luderin?«, fragte die Liss. »Sie kommt wieder zu sich.«
Hannah überlegte. Wenn sie die Luderin laufen ließ, konnte die ihr in die Quere kommen. Also musste man sie ausschalten.
»Sperrt sie in das Kellerloch. Dort soll sie schmoren, bis wir mit unserer Angelegenheit fertig sind.«
Die Schwarze Liss betrachtete Hannah aufmerksam und ernst. »Überspann den Faden nicht, Apothekerin. Bedenke eines: Du wirst gehen, wenn dein Mädchen wieder bei dir ist und das Grundstück dir gehört. Wir müssen jedoch bleiben.«
Überrascht sah Hannah auf und forschte in den dunklen Augen der Schwarzen Liss. »Ich werde immer zu Euch stehen!«, sagte sie.
Die Schwarze Liss lächelte traurig und sagte leise: »Ich möchte es dir zu gerne glauben ...«
6
E s war empfindlich kalt geworden. Der Himmel sah aus wie ein altes Bleidach, und ein Geruch nach Regen lag in der Luft. Kein Windhauch rührte sich. Unter der grauen Bedachung bildeten sich Regenwolken, die sich über die Stadt senkten.
»Sechs Frauen und ein Mönch!« Bruder Adilbert musste lachen, aber es klang keineswegs fröhlich. »Ihr glaubt, das reicht aus? Keine von ihnen kann auch nur einen Knüppel schwingen – und das Einzige, was ich je in Händen gehalten habe, war ein Schreibgriffel oder ein Pinsel.«
»Jetzt haltet endlich den Mund«, fauchte Hannah den Mönch an. »Hört lieber zu, was hinter den Mauern geredet wird!«
Sie hatten den kleinen Umweg über den neuen Palast gemacht und sich aufgeteilt. Hannah war mit Bruder Adilbert an der Rückseite entlanggegangen, die anderen Frauen einzeln an der Vorderseite vorbei.
»Sie haben die Fassade geschlossen«, stellte Hannah fest.
Bruder Adilbert nickte und stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können. »Sie werden bald mit dem Betrieb anfangen. Bevor Magdalena verschwunden ist, hat sie gesagt, dass es noch allerhöchstens drei Wochen dauern wird.«
»Drei Tage«, sagte Hannah tonlos. »Sie fangen nicht in drei Wochen an, sondern in drei Tagen! Bevor wir weggegangen sind, hat aber die Schwarze Liss von einem der Mädchen die Aufforderung für die Luderin bekommen, für den nächsten Sonntag die Aufwärterinnen zu schicken. Sie werden demnach in drei Tagen anfangen. Auch wenn die Gebäude noch nicht ganz fertig sind.«
Bruder Adilbert warf einen kurzen Blick auf Hannah.
»Wenn Gera noch am Leben ist, gilt diese Frist auch für sie«, sagte er und berührte sie leicht am Arm.
»Ja. Unser Vorhaben muss gelingen. Wir müssen Gera und die Kinder befreien, bevor dieses Haus ‚öffnet‘.«
Sie stellte sich ebenfalls auf die Zehenspitzen, um durch das Gitter im Gartentor zu sehen, doch hinter der Tür erhob sich das Gebäude wie eine Zitadelle: uneinnehmbar und nicht einsehbar.
Stimmen hinter der Gartenmauer, die sich von innen näherten, ließen die beiden zusammenfahren.
»Gut so«, sagte die Stimme. »Jetzt können sie kommen.«
Der Mann lachte, als wäre dieser Satz besonders humorvoll. »Sogar der Stadtpfleger, der Stolzhirsch, will zur Eröffnung kommen. Hier«, – dabei klopfte er von innen gegen die eiserne Gartentür, hinter der Hannah und Bruder Adilbert angespannt standen – »lasst Ihr die Männer ein. Habt Ihr verstanden?«
Der unsichtbare Zweite murmelte etwas wie Zustimmung.
»Ihr lasst sie durch, wenn sie Euch bekannt und vertrauenswürdig erscheinen. Die Damen bekommen ebenso wie die Herren die Masken
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