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Fuerstin der Bettler

Fuerstin der Bettler

Titel: Fuerstin der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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in Sicht. Das Leprosenhaus daneben war eher eine Hütte. Alles war heruntergekommen und halb verfallen. Wenn die Leprosen selbst nicht Hand anlegten, verwahrloste das Gebäude. Von der Gemeinschaft innerhalb der Mauern wurden sie ausgeschlossen. Die Leprosen, so hieß es, waren allesamt Sünder, die von Gott bereits in diesem Leben bestraft wurden, bevor sie den Gang in die Vorhölle anzutreten hatten.
    Der kleine Zug hielt an einem schmalen Bühel, der bedeckt war mit Strauchwerk und Birken. So konnten sie weder vom Wehrgang noch vom Leprosenhaus aus gesehen werden. Direkt vor ihnen lag das Haus, oder besser die Hütte, und daneben die kleine Holzkapelle.
    Misstrauisch blickte Bruder Adilbert in den Himmel. Die Wolken hatten sich verzogen und machten blauen Lücken Platz, durch die eine grelle Sonne stach. Sie hatten Aufschub bekommen. Das Unwetter hatte für einen Moment den Atem angehalten, doch es würde sie nicht verschonen.
    »Steckt die Knüppel unter die Kleider, Schwestern«, befahl Hannah. »Zwei gehen mit mir und Bruder Adilbert. Die anderen gehen um das Gebäude herum und achten darauf, dass niemand durch eine Hintertür das Haus verlassen kann. Vorwärts.«
    Hannah wartete, bis die Frauen, die das Haus von hintenbetreten sollten, abgerückt waren, dann zählte sie bis dreißig, schloss die Finger fester um den Griff ihres Holzknüppels und schritt dann hinter Bruder Adilbert auf die Gebäude zu.
    Die Kapelle war plump, weil der Turm eine kleine Glocke zu tragen hatte und deshalb größer war, als es zu dem schmalen Kapellengebäude passte. Der grauschwarze Holzschuppen daneben, einem Heustadel nicht unähnlich, wirkte verrottet und längst ausbesserungsbedürftig. Holzlatten fehlten, und das Dach war an mehreren Stellen undicht.
    »In nomine patris et filii et spiritus sancti!«, erhob Bruder Adilbert die Stimme. Doch aus dem Leprosenhaus erhielt er keine Antwort.
    Die Frauen hatten den Kopf gesenkt und beobachteten aufmerksam jede Bewegung um das Gebäude herum, doch das dunkle Türloch blieb leer.
    Wieder sang der Mönch eine Fürbitte und meldete ihre Geschenke an. Spätestens jetzt hätten die Aussätzigen herauskommen und mit langen Stangen Kleidung und Essen entgegennehmen müssen. Doch nichts geschah. Nicht einmal ein Stöhnen erhob sich, um anzuzeigen, dass jemand im Haus Hilfe benötigte.
    Auf einmal ertönte von hinter dem Haus ein kurzer, schriller Schrei und ein lautes, wütendes Krächzen. Die Frauen, die um das Haus herum auf die andere Seite gegangen waren, hatten sich gemeldet.
    Hannah wollte sogleich nach hinten gehen, doch Bruder Adilbert hielt sie am Arm zurück.
    »Wir schauen zuerst ins Haus«, bestimmte er.
    Dann senkte er den Kopf, als müsse er gegen eine Wand anrennen und sie mit unsichtbaren Hörnern einreißen, und trat über die Schwelle. Hannah folgte ihm. Das Innere des Leprosenhauses bestand aus einem einzigen großen Raum, an dessen Wänden entlang doppelstöckige Betten gereiht waren, und auseinem Lehmofen. In einer Ecke standen noch ein Eimer mit Wasser und ein zweiter mit Deckel für die Exkremente.
    Rasch gewöhnten sich Hannahs Augen an die Dunkelheit, die nur durch Löcher im Dach und durch die fehlenden Latten in den Wänden gemildert wurde. An der Wand neben dem Eingang hingen an hölzernen Haken Gartengeräte, eine Harke, eine Schaufel, eine Forke und ein Metallstift, von dem sie nicht sagen konnte, was es genau war. Doch ansonsten herrschte gähnende Leere. Als hätte es die Leprakranken nie gegeben.
    »Wo sind sie hin?«, fragte Hannah, die dem Mönch über die Schulter schaute.
    »Das würde ich auch gern wissen«, sagte Bruder Adilbert.
    Plötzlich regte sich hinter ihm Unruhe. »Kommt! Schnell!«, rief eine der Frauen.
    Donner rollte schwer über die Ebene vor der Stadt und ließ die Umgebung vibrieren.
    Hannah und Bruder Adilbert folgten den Frauen hinter das Haus zu einem Schopf aus Gesträuch, wie dem, bei dem sie eben noch stehen geblieben waren. Das Summen von Tausenden von Fliegen führte sie, und das Geräusch verriet ihnen, was sie erwartete. Sie fanden am Rande des Schopfs, wie Holzbohlen nebeneinander aufgereiht und mit ein wenig Erde bedeckt, acht Körper. Der Gestank nach Verwesung ging von ihnen aus, was bedeutete, dass sie schon seit längerer Zeit dort lagen.
    Bruder Adilbert bedeckte seine Nase mit dem Ärmel seiner Kutte, brach einen Zweig von einem Busch ab und näherte sich den Toten. Dann wischte er mit dem Zweig die Erde von den Körpern.

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