Fuerstin der Bettler
getroffen. Sie bemerkte, wie er schwankte, doch er stürzte nicht. Langsam drehte er sich auf der Leiter zu ihr um.
Hannah holte abermals aus und schlug wieder mit aller Kraft zu. Sie traf ihn erneut an der Schläfe. Der Mann gab ein Grunzen von sich, hielt sich aber weiter aufrecht. In Hannah stieg eine Furcht empor, die ihr Gesichtsfeld enger machte. Sie sah nur noch den Kerl vor sich, sah dessen riesige Augen, mit denen er sie anstarrte, seine langsamen Bewegungen, dann bemerkte sie, wie er die Klappe losließ, offenbar um den dritten Schlag, zu dem sie ausholte, mit der Hand abzufangen. Sie verfehlte seinen Kopf, traf ihn aber mit Wucht an der Hand. Diesmal rutschte er von der Leitersprosse. Er versuchte sich einzuhalten, erwischte die Lukenklappe, und die fiel mit einem Krachen auf die Holme. Zwischen Luke und erster Sprosse war jedoch der Kopf eingeklemmt. Der Mann rutschte aus, sein Körper zog ihn nach unten.
Hannah würde das knappe Knacken nie mehr aus dem Kopf bekommen, mit dem das Genick des Kerls unter seinem eigenen Gewicht brach. Sie spürte am Beben des Deckels, wie der Sterbende noch strampelte, dann war auch das vorbei.
Wie erstarrt stand Hannah da und sah in die vor Schreck weit aufgerissenen Augen des Mannes, die nichts mehr wahrnahmen und nur noch blind ins Nichts starrten.
Noch vor wenigen Monaten wäre sie schreiend davongelaufen. Jetzt fühlte sie jedoch in sich eine Leere, die sie mehr und mehr erschreckte. Sie musste zu Gera – und der Kerl hatte sie daran gehindert. Sie schauderte. Wurden Mütter, denen man das Kind wegnahm, zu solchen Menschen? Das Fehlen von Mitgefühl und Trauer erschreckte sie selbst.
Doch dann zog Hannah mit aller Kraft an ihrem Seil, und die Luke öffnete sich ein wenig. Der Kopf verschwand durch die Öffnung, und die Lukenklappe knallte wieder auf die Holme,während der Körper des Mannes mit einem dumpfen Laut unten auf dem Lehmboden aufschlug.
Hannah zitterte am ganzen Körper und wagte nicht, auch nur einen Schritt zu gehen, weil sie Angst hatte, ins Nichts zu fallen.
Sie kniete vor der halb verschlossenen Öffnung und fing hemmungslos an zu weinen. Was hatte sie nur verbrochen, dass man ihr derart nachstellte? Was um alles in der Welt machte sie hier? Was hatte sie im Kellergewölbe dieses Hauses verloren? Und dann erinnerte sie sich, dass sie nicht in irgendeinem Gewölbe kniete, sondern in ihrem eigenen. Dass es ihr Haus war und nicht das des Patriziers Aigen.
Trotzig schlug sie mit der flachen Hand auf den Lehmboden und wischte sich endlich die Tränen aus dem Gesicht. Sie versuchte zu ihrer Tochter zu kommen – und jeder, der sie daran hindern wolle, musste damit rechnen, vor das Strafgericht des Herrn zu treten.
Langsam gewann sie die Fassung wieder und versuchte sich an einem Dankgebet. Sie fühlte, wie sie daraus neue Kraft schöpfte, wie ihre innere Energie zurückkehrte. Endlich stand sie auf und sah auf die beiden Holmspitzen, die aus dem Lehmboden ragten.
Hannah packte ihre Laterne, öffnete die Luke ganz, setzte einen Fuß auf die Leiter, hielt sich mit der Messerhand an einem Holm fest und stieg auf die nächste Ebene hinab. Kurz dachte sie an die Luderin, doch diese Frau war ihr egal. Sie war von ihr verraten worden. Sollte sich jemand anders um sie kümmern.
Langsam und mit der Furcht im Rücken, dort unten erwartet zu werden, stieg sie weiter abwärts.
11
H ol sie mir her!«, flüsterte Bruder Adilbert Gallina zu und deutete auf eine unscheinbare Frau, die auf einer Bank in der Ecke des Innenhofs saß, das Gesicht durch einen Schleier halb verdeckt.
Das Mädchen hastete über den Hof, beugte sich kurz zu der Alten hinab, und diese folgte ihr unverzüglich.
Als die Alte das Zimmer betrat und Bruder Adilbert entdeckte, zeichnete sich auf ihrem Gesicht ein offenes Grinsen ab. »Ihr seht verführerisch aus, Mönch!«
Der Mönch achtete nicht auf die spöttische Bemerkung.
»Habt Ihr das Paket abgelegt?«, fragte er nur.
Die Schwarze Liss nickte. »Es wird losgehen.«
»Die Röttel wurde in eine Falle gelockt!«, sagte Bruder Adilbert nur. »Wir müssen ihr beistehen – und unseren Plan daher etwas rascher ausführen.«
Die Augen der Schwarzen Liss weiteten sich. Ihre Lippen bildeten einen stummen Fluch.
»Warum kann für uns das Leben nicht geradlinig verlaufen?«, knurrte sie. »Warum muss es immer um die Ecke gehen?«
»Über die Wege unseres Herrgotts können wir uns später unterhalten. Jetzt gilt es, etwas von unserem
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