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Fummelbunker

Fummelbunker

Titel: Fummelbunker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonja Ullrich
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muslimischer Familien vertraut; und in denen stand, dass nie, aber auch niemals, die Ehefrau ihrem Mann vor Fremden die Leviten lesen durfte. Bei Metin war die Sachlage anders. Er wurde in Deutschland geboren, war mit einer Latino-Christin verheiratet und flog nur in die Türkei, um sich am Sandstrand die Sonne auf den Schädel brutzeln zu lassen. Seine Überintegration lag in der Natur der Sache. Seine Eltern allerdings waren für Liberalität, religiöse Toleranz und feministische Selbstverwirklichung einfach der falsche Jahrgang. Vielleicht lag es an mir. Womöglich pflegte ich verstaubte Vorurteile. Vielleicht integrierten sich türkische Stahlarbeiter aber auch einfach anders als die Türken, die sich an der Seite von Deutschen, Polen und Italienern unter der Erde durchschlagen mussten. Von der Stahlindustrie um Krupp und den damaligen Bochumer Verein, für den Metins Papa geackert haben musste, hatte ich wenig Ahnung.
    Yusuf Tozduman atmete angestrengt durch. »Es dauert keine Stunde. Wie immer. Eine Stunde am Tag. Was soll in einer Stunde schon passieren?«
    »Ich könnte vom Sofa fallen und mir den Hals brechen. Es könnte ein Feuer ausbrechen oder ein Wasserrohr platzen. Ein Einbrecher könnte unsere schönen Sachen mitnehmen und irgendetwas mit mir anstellen.«
    Yusuf Tozduman stieß einen kurzen Schrei aus. »Schluss jetzt, ich gehe.«
    Er stand auf und ich war in Alarmbereitschaft. Ich drängte mich zur Mutter, streckte meinen Arm aus und lächelte zum Abschied. Sie nahm meine Hand, umfasste sie mit ihren dicklichen Griffeln und drückte zu. Und sie ließ sie nicht mehr los. Ihre Augen durchbohrten mich.
    »Erzählen Sie mir etwas über Gott, bitte.«
    Sie flehte und wanderte mit einer Hand bis zu meinem Handgelenk. Ihre Finger konnten es mühelos umfassen. Prompt begann meine Pulsader unter dem Druck zu klopfen. Im Hintergrund hörte ich währenddessen die Wohnungstür zuschlagen.
    »Wirklich, Frau Tozduman. Ich muss jetzt wieder gehen.« Ich versuchte, mich aus ihrem Griff zu winden, doch es gelang mir nicht. Ihre Hand um meine Finger zog den Sack zu und meine Fingerspitzen begannen dunkelrot anzulaufen.
    »Bleiben Sie hier, bitte. Lassen Sie mich nicht allein! Ich sterbe, wenn ich allein bin.«
    Ihre Augäpfel quollen wie Tischtennisbälle hervor und ich konnte die Äderchen an den Seiten sehen. Als dann auch noch ihre Lippen zu beben begannen, schwante mir Schreckliches.
    »Bitte, nicht weinen«, flehte ich und sah mich um. »Wo ist der andere Mann, der mir die Tür geöffnet hat?«
    Wie von Sinnen schüttelte sie ihren Kopf und ließ mich dabei nicht aus den Augen. Ein Schweißfilm hatte sich bereits auf ihrem ganzen Gesicht gebildet und ein quengeliger Ton sickerte durch ihre Lippen. »Der taugt zu nichts mehr. Er ist fast taub und spricht kein Deutsch. Wenn etwas passiert, könnte er nicht einmal den Notruf wählen.«
    Ich machte eine Krokodilsträne auf ihrer Wange aus und mir wurde übel. Ich konnte nicht mit heulenden Leuten umgehen. Schon gar nicht, wenn sie alt und ans Bett gefesselt waren.
    »Bitte, hören Sie auf damit.«
    »Gehen Sie nicht! Ich werde verrückt, ich werde wahnsinnig. Plemplem«, wiederholte sie leise und zerquetschte förmlich meine Hand. Ihre Fingerknöchel traten weiß hervor, während meine abgeklemmten Fingerspitzen erkalteten. Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals.
    »Hören Sie auf zu weinen«, winselte ich zurück.
    »Bleiben Sie hier?«, fragte sie.
    Ich nickte aus der Not heraus. Schließlich waren meine Finger schon lila. Und sie ließ von mir ab. Ein Blutschwall schoss kribbelnd meinen Arm hinunter. Ich atmete auf, sie faltete ihre Hände entspannt auf ihrer Brust, schloss die Augen und schien wegschlafen zu wollen. Ich sprach sie an, aber sie reagierte nicht.
    Das war meine Chance. Schnell sprang ich auf die Füße und flitzte aus dem Wohnzimmer.
    »Sie wollten doch hier bleiben!«, brüllte sie mir hinterher, doch ich antwortete nicht.
    Stattdessen hetzte ich durch den langen Flur, überrannte beinahe den uralten Mann und riss die Haustür auf. Von Yusuf Tozduman fehlte natürlich jede Spur.
    Wundervoll.
    Genervt ging ich die Straße hinunter. Die klobigen Platanenkronen warfen kugelige Schatten auf den Bürgersteig und die Häuserreihe. Ein 40-Tonner bretterte auf dem äußersten Fahrstreifen an mir vorbei und pustete mir den Straßendreck ins Gesicht.
    Nie mehr würde ich einen Fuß in dieses Haus setzen, so viel war sicher.

3.
    Um acht Uhr am Abend

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