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Fummelbunker

Fummelbunker

Titel: Fummelbunker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonja Ullrich
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schwarze und füllige Matte auf seinem Kopf. Es bestand kein Zweifel, dass er eine Perücke trug. Er sah mich an, sagte aber kein Wort.
    »Ich möchte mit Herrn Yusuf Tozduman sprechen.«
    Die braunen, von Krähenfüßen umrandeten Augen des Alten sahen mich eine Weile an. Dann drehte er mir den gekrümmten Rücken zu und verschwand in der vordersten Wohnung des Mehrfamilienhauses. Ich folgte ihm, schloss die Haustür hinter mir und kündigte mich mit einem Klopfzeichen an der Wohnungstür an. Keine Antwort. Also zog ich mir die Sandaletten von den Füßen und trat, so wie ich es von meinen türkischen Nachbarn gewohnt war, barfuß ein. Es roch nach alten Leuten: Muffige Luft, abgetragene Kleidung, Mottenkugeln und Waschpulver. Der Teppich im Flur war orange und durchgelaufen, die Tapeten mindestens 30 Jahre alt. Der Flur war ein langer Schlauch. Die Türen der angrenzenden Räume standen offen. Das Licht, das durch deren Fenster drang, besprenkelte wie getrocknete Milch den Boden. Ich lugte nacheinander in die Zimmer, durchquerte den Flur und fand mich zuletzt im Wohnzimmer wieder, wo mein Blick zuerst auf das Sofa fiel. Auf ihm lag eine ältere und unverkennbar dicke Frau. Ihr Körper war komplett in eine Wolldecke gehüllt, lediglich ihr Kopf und die bestrumpften Füße waren an der Luft. Sie lag auf dem Rücken, auf ihrem Oberkörper türmte sich ein enormer Vorderbau. Ihr ergrautes Haar war kurz geschnitten und brachte ihre kantigen Ohren zur Geltung. Sie hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Metin, insbesondere ihre Nase und ihre schmalen Lippen glichen den seinen. Die Topflappenstirn hatte er definitiv von seinem Vater, der seiner Ehefrau im Sessel gegenübersaß. Seine ehemals schwarzbraunen Flipperslocken waren hellgrau, sein Gesicht glatt rasiert. Er kam mir ein wenig dünner vor als auf dem Foto.
    Von dem uralten Mann, der mir die Tür geöffnet hatte, fehlte jede Spur.
    »Guten Tag«, begrüßte mich Herr Tozduman und stand auf. Er reichte mir die Hand, als wäre es ganz normal, dass wildfremde Leute in sein Wohnzimmer spazierten. Metins Mutter lächelte und wackelte mit ihren Zehen.
    »Guten Tag«, sagte ich und räusperte mich. »Ich bin gekommen, um mit Ihnen über Gott zu sprechen.« Bei dem Wort ›Gott‹ breitete ich meine Hände aus wie Moses, als er gerade das Meer spaltete. Anschließend faltete ich die Hände vor meinem Bauch zusammen und die beiden sahen sich verdutzt an. Zu guter Letzt warf Yusuf Tozduman den Kopf in den Nacken und fing laut an zu lachen. »Nur zu«, verkündete er und setzte sich wieder hin.
    Das war nicht, was ich hören wollte. Ich wollte hochkant wieder rausgeworfen werden – so wie es sich gehörte. Mein Plan war, mich nicht länger als nötig aufzuhalten und mir nur ein kurzes Bild über die Wohn- und Lebenssituation der Tozdumans zu verschaffen. Nur so zum Spaß; und in der Hoffnung, es würde mir Aufschluss über die merkwürdigen Abstecher zwischen zwei und drei geben. Und mit welcher Taktik konnte man sich schneller aus einem türkischen Haushalt verdünnisieren, wenn nicht mit Geschichten über den Heiligen Geist? Es war ein guter Plan. Doch er funzte nicht. Ganz im Gegenteil: Tozduman Senior schien ein ehrliches Interesse für meine Vorträge zu haben. Doch dann beäugte er seine Uhr. Glück für mich.
    »In fünf Minuten muss ich aber gehen«, sagte er schließlich.
    »Wohin musst du wieder gehen?«, keifte seine Frau sofort los.
    »Ich muss nur kurz etwas erledigen.« Er sah sie nicht an, sondern schien direkt mit mir zu sprechen.
    »Ja, ja. Das sagst du immer! Was hast du zu erledigen?«, löcherte sie weiter. Ihre Stimme war harsch und er antwortete etwas auf Türkisch.
    Sie schnaubte verächtlich. »Jeden Tag verschwindest du. Und ich bin ans Sofa gefesselt. Guck mich an, ich verende im Liegen! Wie kannst du deine kranke Frau einfach so allein herumliegen lassen?«
    Es war eine schaurige Vorführung und während Frau Tozduman sich vergaß, kamen meine Zehen auf dem Hochflor ordentlich ins Schwitzen. Mir war nicht wohl bei dem Gezeter. Nicht nur wegen ihrer Stimme, die der eines penetranten Kläffers glich. Sondern vor allem, weil ich anderes gewohnt war. Als Zechenkind wuchs ich zwischen den Häusern türkischer Kumpels auf, mit denen mein Vater unter Tage fuhr. Ich spielte in türkischen Kinderzimmern, aß von türkischen Tellern und riss dem einen oder anderen Türken im Streit auch einmal eine Locke aus. Ich war mit den kulturellen und sozialen Bauplänen

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