Fummelbunker
aufzufrischen.
Ich guckte Olaf an. »Hin und wieder?« Er zog eine Grimasse.
Ein neues Spiel begann. Olaf warf einen Chip auf Rouge, einem großen Feld mit Verdoppelungschance, sofern die Kugel auf eine rote Zahl fiel. Wie zuvor stieß die Asiatin das Rad an, warf die Elfenbeinkugel in die Schüssel und motivierte mit einer Handbewegung die Gäste, ihr Plastikgeld auf das Tableau zu legen. In dem Gewusel zählte ich vier Personen, die ein Spiel machten: Eine kleinwüchsige Frau in ihren 50ern, ein junges Pärchen sowie ein Mann mit rosafarbener Krawatte und rosafarbenem Seidentüchlein in der vorderen Jacketttasche. Sein gebräunter Glatzkopf war auf Hochglanz poliert und er trug einen Brilli am Ohr. Eine Hand steckte in seiner Jackentasche und ließ die Jetons darin klimpern.
»Rien ne va plus!«
Die Kugel fiel auf ein schwarzes Feld und der böse Rechen fegte Olafs fünf Euro vom Tisch.
»Was meinst du mit ›hin und wieder‹?«, insistierte ich. »Warst du mit ihm öfter hier?«
Fräulein Vu schaute zu uns herüber und Olaf fühlte sich unter ihren Blicken sichtlich unwohl. Er schob mich vom Tisch fort. »Boris spielte immer zu ihren Schichten«, flüsterte er mir zu.
»Ihre Schichten«, wiederholte ich. »Und wann sind die?«
»Sonntags bis mittwochs von sieben bis Mitternacht.«
»Warst du da auch immer hier?«
»Nein, nur sonntags. Er hat es mir erzählt. Er hatte wohl eine Schwäche für sie.«
Ich sah zum Tisch herüber. Fräulein Vu begrüßte einen neuen Gast mit einem gewinnenden Lächeln. Ich ging noch einmal zu ihr. »Der Mann auf dem Foto. Boris Bäcker. Wie war er so drauf?«, fragte ich sie.
Sie guckte mich verdutzt an. »Wie bitte?«
»Wie hat er gespielt? Hat er gewonnen oder verloren?«
Stoisch starrte sie auf meine Stirn. »Darüber erteile ich keine Auskunft.«
Das war das Ende der Fahnenstange. Ihr Blick verriet mir, dass ich keinen weiteren Ton aus ihr herausbekommen würde. Die Roulettescheibe rotierte, die Kugel flog in das Cuvette und ich setzte einen Chip auf Schwarz.
»Rien ne va plus!«
Die Kugel rollte in entgegengesetzter Richtung über den Zahlenring und begann zu klimpern, als sie hinuntersackte und auf den eingelassenen Feldern hin und her hüpfte. Endlich blieb sie liegen. 25. Rot. Das Geld war futsch.
»Lass uns gehen«, sagte ich zu Olaf. »Für heute Abend habe ich genug gehört.«
Die Alleestraße in Stahlhausen war am Dienstagnachmittag wieder gut befahren. Autos schossen über die Kreuzung, überholten auf der inneren Spur und pflügten sich durch den Sicherheitsabstand der Lkws, um nur 200 Meter weiter wieder rechts abzubiegen. Die Zentimeterklopperei erinnerte mich an mein erstes eigenes Apartment im Dortmunder Stadtinneren. Ich hatte unweit der Handwerkermeile im Nordstadtviertel über dem Borsigplatz gewohnt. Der Platz war ein zyklopischer Kreisverkehr mit sechs Zufahrten, zwei bis drei Fahrspuren sowie einer blickdichten Baumwiese im Inneren des Kreisels. Gequert wurde das Ganze von einer Straßenbahn. Seinerzeit machte die Geschichte die Runde, eine Frau hätte im inneren Kreisel ihren Tank leer gefahren, weil sie es nicht schaffte, die Spur zu wechseln.
Es war Viertel nach zwei. Corinna, unsere Azubi, hatte in Ermangelung einer Beschäftigung auf meinem Beifahrersitz Platz genommen und leistete mir Gesellschaft, indem sie ihren Kopf zwischen die Knie klemmte und über die Heimtücke von Kinetose kakelte.
»An so etwas kann man sterben«, informierte sie mich.
»An der Reisekrankheit?« Ich bezweifelte dies.
Sie griff in ihr schwarzes Lackhandtäschchen und holte eine Handvoll Pflaster heraus. Nacheinander entfernte sie die Schutzstreifen, warf das Papier zum Fenster hinaus und fing an, sich die Pflaster an den unmöglichsten Stellen aufzukleben: Stirn, Nacken, Handrücken, quer über den Kehlkopf.
»Was wird das?«
»Transdermale Pflaster«, sagte sie nur. »Machen den Brechreiz beim Mitfahren weg.« Sie schielte zu mir herüber. »Wenn ich selbst fahre, hab ich das nicht.«
Als sie merkte, dass ich nicht vorhatte, darauf eine Antwort zu geben, legte sie ihren Hinterkopf auf der Nackenstütze ab und schloss die Augen. Ihr schwarzes langes Haar fiel müde vom Scheitel, durch ihre kalkige Schminke schimmerte ein Grundton aus oliv und gelb. Sie sah nicht gesund aus. Aber das war noch lange kein Grund, sie mein Auto fahren zu lassen.
Corinna Gläser war siebzehn Jahre alt und stolze Besitzerin eines Führerscheins für begleitetes Fahren. Ihr
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