Fummelbunker
Verpackung.«
Ich stellte den Twingo auf dem Seitenstreifen ab und hielt ihr meine offene Hand hin. Corinna gab mir die Packung. Der Beipackzettel breitete sich über die halbe Windschutzscheibe aus, was bei einem Twingo allerdings nicht schwierig war. Ich las eine Weile, ohne dass jemand etwas sagte. Dann rollte ich das Papier wieder ein und begann, die Pflaster nacheinander abzureißen.
»Au! Autsch!« Corinna kniff die Augen zusammen. »Was machst du da?«
»Wie oft nimmst du die Pflaster?«
Der Klebstoff ratschte, während ich die Streifen von der Haut zog.
»Immer, wenn ich unterwegs bin.«
»Im Auto?«
»Alles, was fährt, macht mich krank. Davon krieg ich Schweißausbrüche und muss kotzen.«
Ich schüttelte drohend die Packung. »Wie viele davon? Für wie lange?«
»Kommt drauf an.« Sie schmatzte.
»Mundtrockenheit«, stellte ich fest. »Eine von vielen Nebenwirkungen.«
»Welche Nebenwirkungen?« Ihre schläfrigen Augen blinzelten mir zu.
»Müdigkeit. Bei Überdosierung bis hin zur Apathie.«
»Aha.« Sie sah durch mich durch.
»Ist dir gar nicht aufgefallen, dass du mehr pennst als arbeitest?« Ich trat aufs Gaspedal und schwenkte den Wagen zurück auf die Straße.
»Nicht so richtig. Ich konnte schon immer gut einschlafen.« Sie guckte mich an. »Wie bist du auf den Trichter gekommen, dass es an den Klebedingern liegt?«
»Meine Oma ist vor ein paar Jahren nach einer Kombination aus ABC-Pflastern und Blutdruckmitteln in Ohnmacht gefallen. Seitdem traue ich keinem Pflaster mit Wirkstoffen mehr.«
4.
Das Lütgen-Casino war am Dienstagabend ähnlich gut besucht wie am Tag zuvor. Ich trug einen schwarzen Hosenanzug, den einzigen, den ich hatte, und eine schmucklose weiße Bluse. Seit einer halben Ewigkeit ging ich die Etage auf und ab und beobachtete die Leute. Dabei wollte das Las-Vegas-Feeling nicht so recht aufkommen: Es gab keinen Applaus für Gewinner, keine fleischwurstdicken Geldscheinrollen in Gummibändern und keine Babes, Bunnys oder Elvis-Imitatoren. Stattdessen krebsten die Gäste mit ihren fünf- bis 15-Euro-Einsätzen um die Tische herum und straften die Croupiers stundenlang mit Skepsis ab, ehe sie endlich spielten. Manche schienen die erste und wahrscheinlich letzte Krawatte in ihrem Leben zu tragen.
Der Hollywoodglanz, der dem Casino gestern noch anmutete, begann zu bröckeln.
Ich wurschtelte mich durch die Inseln plappernder Menschen und fand mich am Roulettetisch in der zweiten Reihe skeptischer Gaffer wieder. Fünf Leute machten ihr Spiel am Tisch vier, die Menge neigte die Köpfe zu einer gealterten John-Dillinger-Version mit gefurchtem Kinn, zurückgekämmten Haaren und einem Clark-Gable-Bart. Er war zweifelsohne eine Ausnahmeerscheinung zwischen den gestriegelten Bergmännern. Nicht nur, weil er mit 20-Euro-Jetons spielte. Er gewann außerdem am laufenden Band. Doch Siegertypen interessierten mich nicht. Ich war auf der Suche nach jenen Verlierern, denen das Casino habhaft werden wollte, um sie wieder hochkant aus dem Haus zu schmeißen.
Hinter dem Spieltisch präsentierte sich Fräulein Vu auf dem Drehstuhl. Ihr Blick glitt über das Tableau und über die Finger der Spieler, die die Jetons auf das Spielfeld schubsten. Dann starrte sie an meiner Stirn vorbei und verlor sich in den Locken der Brünetten unmittelbar hinter mir. Es war keine Überraschung, dass sie mich ignorierte.
Sie ließ die Schüssel rotieren, und ich wand mich von ihr ab. Der glatzköpfige Spieler von gestern trat ans andere Ende des Tisches heran. Sein schwarzes Sakko hing wie ein Bademantel von seinem Körper herunter und warf hässliche Falten unter den Achseln. Das Ende seiner Schanzennase glänzte schweinchenrosa, sein Brilli funkelte und auf seiner Platte spiegelte sich die Deckenbeleuchtung. Als er mich entdeckte, lächelte er kurz. Ich ging zu ihm hinüber.
»Sie sind öfters hier?«, fragte ich.
»Ich mag den Kaffee an der Bar.«
»Kann man sich den denn leisten?«
Er grinste. »Drei Euro die Tasse.«
»Nichts geht mehr!«, verkündete Fräulein Vu.
»Kennen Sie diesen Mann?« Ich zeigte ihm das Foto von Boris. Er sah es sich nicht lange an.
»Der war schon öfter hier.«
»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
Der Glatzkopf überlegte kurz. »Am Freitag.«
»Wie war er da so drauf?«
Er sog die Luft zwischen den Zähnen hindurch. »Ich bin nicht hier, um mir die Leute anzugucken.«
Ich steckte das Foto wieder ein. »Aber Leute, die jeden Abend hier herumlungern, fallen
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