Fummelbunker
Vater Rudolf hatte mit meinem Paps zusammen auf der Zeche Minister Stein und Hardenberg gedient. Als Obersteiger trug Gläser die Verantwortung für ausgewiesene Schächte, in denen unter anderem auch mein Vater unter Tage arbeitete. Gläser war seit seinem elften Lebensjahr ausgeprägter Stotterer. Er war keine von den angeknacksten Vinylplatten, die ihre Silben immer und immer wiederholten, bis sie sich nach einem hübschen kleinen Wort anhörten. Vielmehr wollte man ihm per Heimlichgriff das sperrige Wort am liebsten aus der Luftröhre katapultieren, da es den Anschein machte, er würde ansonsten an seinem Anliegen ersticken. Auf dem Pütt lernte Gläser schließlich jemand seinesgleichen kennen (eine gerissene Vinylplatte namens Heinrich), der ihm das Singen beibrachte. Der Rest war Geschichte und Heinz und Rudi beschallten in ihrem Amt als Obersteiger die Sohlen bis zu ihrer Schließung 1987.
Das sperrige Laub der Platanen raschelte und scharrte an den Dachziegeln der Mietshäuser. Ein lilafarbener Opel Corsa neueren Baujahrs schob sich einige Meter vor uns zwischen die Baumreihe und wartete dort bei laufendem Motor. Niemand stieg aus.
»Ich glaube, es geht los«, sagte ich leise, wohl aus Angst, der Fahrer des Corsa könnte mich sonst hören.
Corinna fläzte weiter auf dem Beifahrersitz. Ihre Kinnlade war mittlerweile heruntergeklappt und ihre Brust hob sich gleichmäßig unter ihren verschränkten Armen. Mit einer Schnute, die ich mehr für mich als für Corinna zog, beugte ich mich zu ihr hinüber und holte den kleinen Feldstecher vom Hobbyladen an der Oststraße aus der Ablage, nicht ohne meinen Ellenbogen gegen ihre Schulter zu drücken..
Meine Beifahrerin zeigte sich unbeeindruckt. Ich warf einen Blick durch das Glas und erkannte einen langhaarigen Rotschopf auf dem Fahrersitz des Corsa. Das Rot war nicht echt. Es ging in Richtung lila und war ein sicheres Indiz dafür, dass eine Frau zwischen 18 und 88 hinter dem Steuer saß. Keine zwei Minuten später trat Yusuf Tozduman aus dem Haus. Und wie von Metin angekündigt, hockte eine dunkelbraune Prinz-Heinrich-Mütze auf seinem Kopf. Er nahm direkten Kurs auf den Corsa.
»Was soll das sein? Ein Prostituiertenabholdienst?«, fragte ich.
Corinna antwortete mit einem Schnarcher, aber ich war zu sehr auf die Rothaarige konzentriert, als dass ich darüber nachdenken könnte, ob er aus den Nebenhöhlen oder dem Rachen kam.
Tozduman stieg ein, schnallte sich an und ich startete den Motor.
»Corinna.«
»Hm.«
»Es geht los.«
Sie klappte ihren Unterkiefer hoch und schob ihre Lippen nach vorn, alles ohne die Augen zu öffnen. Der Corsa stürzte sich den Bürgersteig hinunter und ich nahm die Verfolgung auf. Als der Twingo den Bordstein herab ruckelte, wackelte Corinnas Kopf auf den Schultern hin und her. Ohne in den Spiegel zu schauen, segelte ich auf die Abbiegerspur, als der Corsa die Biege machte. Ein Auto hupte, ich hupte zurück.
»Hm«, sagte Corinna.
Ich folgte dem Corsa auf die Wattenscheider Straße. An der Kreuzung Am Bänksgen traf ich auf eine einen Quadratmeter große Baustelle, wechselte die Spur und überfuhr dabei ein fußballgroßes Schlagloch. Es knallte, als wäre ein Reifen geplatzt.
»Shit.« Ich trat auf die Bremse.
Corinnas Kopf flog nach vorn. »Hm«, raunte sie, während ich versuchte, mit meiner rechten Hand ihren Oberkörper zu stemmen.
»Aufwachen!«
Es klappte nicht und Corinnas Stirn prallte mit einem dumpfen Geräusch gegen das Armaturenbrett. Ich riss den Wagen zurück auf die rechte Spur und der Fliehkraft sei Dank begrüßte mich Corinnas Scheitel auf Höhe der Mittelkonsole.
»Ey!« Sie hielt sich die Stirn.
Ich lockerte meinen Gasfuß und schob sie gleichzeitig auf ihre Seite zurück. Als ich wieder nach vorn sah, war der Corsa verschwunden.
»Wir haben sie verloren.«
»Wen?«
»Die Frau in dem Corsa.«
»Welcher Corsa?« Sie gähnte.
»Was ist mit dir los? Hast du gestern durchgefeiert?« Ich ruderte den Twingo auf die Linksabbiegerspur und wendete.
»Ich feiere grundsätzlich nicht.«
»Warum nicht? Verwirren dich die bunten Klamotten der anderen?«
Giftig guckte sie mich an und ihre zusammengezogenen Augenbrauen warfen das Pflaster, das quer über ihrer Stirn pappte, in Falten. In meinem Kopf rasteten ein paar Zahnräder ein.
»Was, sagst du, sind das für Teile?«, fragte ich.
»Transdermale Pflaster. Da sind Wirkstoffe drin.«
Mit zwei Fingern zog ich an meiner Unterlippe. »Gib mir die
Weitere Kostenlose Bücher