Fummelbunker
trugen. Erst beim zweiten Anlauf schaffte ich es, den Ordner mit seinen Casino-Recherchen ausfindig zu machen. Darin war ein zusammengewürfelter Haufen von Dokumenten und Dateischnipseln, unübersichtlich und ohne aussagekräftige Bezeichnungen. Die Texte waren ungenau, die Quellen schlampig recherchiert. Alles in allem hatte ich nicht den Eindruck, dass sich Bäcker leidenschaftlich in seine Arbeit stürzte. Im Gegenteil. Er machte einen unverlässlichen Eindruck.
Der Name des Zeugen und eigentlichen Antriebsmotors für den Job war mit einem Sternchen markiert, was selbst mir als unsolidem Zeitungsleser erklärte, dass der Name geändert wurde. Ich versuchte mich an Bäckers internem Adressverzeichnis und zu meinem Bedauern wurde ich schnell fündig. Der fingierte Name verwies auf einen gewissen Alfred Kwiatkowski, einem Datensatz ohne Adresse, sondern lediglich mit einer Telefonnummer mit Dortmunder Vorwahl. Das zerstörte meine Theorie, dass nicht irgendein Dritter, sondern Bäcker selbst der Zeuge war. Rein interessehalber tippte ich die Nummer in mein Handy ein, löschte sie aber wieder und schaltete stattdessen die Nummernunterdrückung in der Telefoneinstellung ein. Dann wählte ich. Und tatsächlich meldete sich jemand.
»Hallo?«, sagte die männliche Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Herr Alfred Kwiatkowski?«, fragte ich.
»Wer will das wissen?« Er röhrte wie ein Graupapagei.
»Mein Name ist Esther Roloff und ich bin auf der Suche nach jemandem.«
»Nach wem?«
»Boris Bäcker.«
Der Mann schwieg.
»Herr Kwiatkowski?«, wiederholte ich.
Er legte auf.
Ich starrte noch eine Weile den Hörer an. Zugegebenermaßen war das Telefonat nicht ganz so verlaufen, wie ich es mir vorgestellt hatte, und es machte auch nicht den Eindruck, als würde ein persönliches Gespräch mit ihm ein Zuckerschlecken werden. Aber trotzdem gab mir der Anruf einen wichtigen Hinweis: Es gab diesen Zeugen wirklich und Boris Bäcker war, was meine Theorien betraf, aus dem Schneider.
Ich war enttäuscht. Es hätte alles so wunderbar zusammengepasst: Boris, der alte Haudegen, haute hunderte von Euros auf den Kopf und lieh sich Geld von der Casinobank. Doch Ganesha, der Glücksgott, wollte ihn nicht segnen und er fiel in ein noch tieferes Schuldenloch. Das Casino wurde dem Pleitegeier überdrüssig und wollte mit Nachdruck die Schulden eintreiben. Daraufhin stand Bäcker entweder der Sinn nach Rache oder nach Flucht. Demzufolge beseitigten entweder die Spielhöllengorillas den Reporter, um den Rufmord zu verhindern. Oder Bäcker suchte selbst das Weite und floh vor seinen Schulden.
Es wäre ein rundum geschnürtes Paket, wären da nicht der Zeuge und der geklaute Laptop gewesen. Ganz zu schweigen von dem ausgeglichenen Schuldenkonto. Den Zeugen hätte ich in meiner Theorie noch ohne Weiteres verschmerzen können, aber das Null-Euro-Casino-Konto bereitete mir Kopfschmerzen. Genauso wie mir der Computerklau als absolut sinnlos erschien. Wer wollte was damit bezwecken? Gab es vielleicht doch keinen Zusammenhang? Ich bezweifelte dies. Das Gerät wurde unmittelbar nach Bäckers Verschwinden entwendet, und zwar noch ehe er von seiner Freundin vermisst gemeldet wurde. Ganz gleich, wer den Computer geklaut hat; er wusste, dass Bäcker nicht mehr zu Hause war. Also musste es irgendeinen Zusammenhang geben.
Ich verließ das Adressbuch und kehrte in die Ordnerstruktur zurück. Oberflächlich klickte ich mich durch die bunten Bildchen, aber mir wollte einfach kein Licht aufgehen.
Stattdessen verhedderte ich mich in den tiefen Ebenen seiner Unterunterunterordner und verlor die Lust an der Spionage. Plötzlich stach mir der Titel einer einzelnen Datei ins Auge. Umrandet von Zahlengewirr und Bindestrichen las ich den Namen ›Panko‹ und musste erst einmal schlucken. Ich klickte auf die Datei und der Browser öffnete ein neues Fenster. Meine Nervenbahnen begannen zu knistern.
In der Datei verbarg sich ein alter Artikel aus dem Westfälischen Beobachter. Es war ein Titelblatt aus 2004, der Schriftsatz der Titelei klischeehaft in altdeutscher Form gehalten. In dem Artikel beklagten die Kameraden den Verlust eines Mannes, der den Tod auf beziehungsweise unter der Erzbahnschwinge am Westpark gefunden hatte. Ich kannte den toten Mann nicht und verstand nicht, wie man von einer Hängebrücke mit einem mannshohen Seilnetzgeländer fallen konnte. Genau dieser Frage waren auch die trauernden Neonazis nachgegangen, doch es schien keine
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