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Fummelbunker

Fummelbunker

Titel: Fummelbunker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonja Ullrich
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Gaumen wie ein Tennisball auf dem Schotterplatz. Aus einem mir unerfindlichen Grund dachte ich sofort an U-Boote.
    »Hallo«, sagte ich.
    »Wie ch-heißt du?«
    »Esther.«
    »Ästar. Wie alt bist du? Siebzik?«
    »34«, antwortete ich korrekt.
    »Ästar. Gefällt mir nicht. Welche Farbe ch-haben deine ch-Haare?«
    Ich wüsste nicht, was ihn das angehen sollte, aber ich spielte mit.
    »Blond.«
    »Wie lang?«
    »Bis zum Kinn.«
    Er schwieg einen Augenblick.
    »Was ch-hast du an?«
    Langsam reichte es. »Warum sollte das für unser Gespräch von Bedeutung sein?«
    »Ästar«, sagte er nur und ließ das r genüsslich über seinen Gaumen rollen. »Mach.«
    Ich knirschte. »Jeansrock und T-Shirt. Ein rotes T-Shirt mit einer Schlange drauf.«
    »Eine Schlange«, wiederholte er und schwieg erneut für einen Moment. »Gut. Ich nenne dich Oksana. Starker Name. Kluger Name.«
    »Soll das heißen, mein Name ist nicht klug?«
    »Njet. Dein Name ist für Bábuschki. Omas.«
    »Niemand kommt als Oma zur Welt«, konterte ich. »Bábuschkas waren auch mal jung.«
    »Manche werden geboren, nur um Bábuschka zu sein. Zu sitzen, zu jammern und auf Tod zu warten.«
    Er belegte das Wort ›Tod‹ mit viel Luft und Spucke und ich machte mir im Hinterstübchen ein Kreuzchen, dass ich Metin dringend fragen musste, wofür der Russe eigentlich einsaß.
    »Und du jammerst«, fügte er hinzu.
    »Gar nicht!«
    Er lachte auf. Es klang eiskalt. So musste sich also der Eiserne Vorhang angefühlt haben.
    »Also. Oksana. Was willst du?«
    Ich erläuterte ihm das Nötigste und es kam, wie ich es befürchtet hatte: Er stellte noch mehr blöde Fragen.
    »Was willst du, Bábuschka? Propaganda machen in der Zeitung für deine Sache?«
    »Ich habe keine Sache«, meckerte ich. »Ich will jemanden finden.«
    »Oh«, raunte er. »Deinen Musch?«
    »Meinen was?«
    »Deinen Kameraden, Macker, Stecher, Mann.«
    »Nein, nicht meinen Freund. Ich suche nur einen Kollegen.«
    Er schwieg kurz. »Wie lang ist er weg?«
    »Genau eine Woche.«
    »Nada«, sagte er sofort. »Brauchst nicht suchen. Ist schon tot.«
    »Vielen Dank für deine Einschätzung«, entgegnete ich sofort. »Können wir jetzt anfangen?«
    Er lachte wieder.
    »Charascho. Mach ein Fenster auf.«
    Ich öffnete ein Browserfenster und Viktor diktierte mir einen zwölfstelligen Zahlenwirrwarr in den Hörer. Eine Internetseite mit schwarzem Hintergrund und allerlei rechteckigen Kästchen öffnete sich.
    »Was ist das?«, fragte ich.
    »Kyrilliza.«
    »Ich sehe nur Kästchen«, jammerte ich.
    »Du ch-hast keine russische Spracherkennung installiert.«
    Natürlich hatte ich das nicht. Wozu auch?
    »Tipp ein.«
    Wieder diktierte er mir etwas. Diesmal waren es die Zugangsdaten für die kyrillische Hackerseite.
    »Was für ein ch-Hersteller ist das CMS?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Bábuschka!«, fluchte er. »Lies!«
    »Da unten steht Maestro Systems.«
    »Gut«, sagte er besänftigt.
    »Ja?«
    »Da.«
    Ich war still und Viktor ließ ebenfalls keinen Mucks hören.
    »Ich muss warten«, erklärte er nach gefühlten fünf Minuten. »Milizyja.«
    »Was? Miliz?«
    »Ein Wärter.«
    »Aha.«
    »Da. Mach jetzt alles, was ich sage.«
     
    Eigentlich war es ganz simpel. Meine Aufgabe war es, die kyrillische Hackerseite mit der Internetadresse der WAZ-Benutzeroberfläche zu versorgen, die Eingabetaste zu drücken und darauf zu warten, dass der Server auf Lauschangriff umschaltete. Dann bat ich das WAZ-Benutzertool um ein neues Passwort, klickte auf den Link ›Passwort vergessen?‹ und gab mich als Boris Bäcker aus, indem ich mich mit seinem Benutzernamen identifizierte. Und tatsächlich schaffte es die Hackersoftware, Fragmente jener E-Mail von der Datenautobahn zu lotsen, die sich auf dem Weg zu Bäckers Mailserver befand, um ihn dort mit neuen Log-in-Informationen zu versorgen. Ich starrte auf den dunklen Bildschirm und staunte meterhohe Bauklötze.
    Ich hatte die Website eines Zeitungsverlages gehackt. »Danke.«
    »Njesaschta«, sagte er. »Rashdisstwo. Bis Weihnachten.« Damit legte er auf.
    Und was immer er mir damit sagen wollte, es interessierte mich nicht. Ich notierte mir die neuen Kontodaten und öffnete mit schwitzigen Händen Bäckers Benutzeroberfläche. Optisch machte es nicht viel her, aber die Bedienung war intuitiv und von den Bildchen des Betriebssystems inspiriert, die die Handhabung erleichterten. Bäcker arbeitete mit vielen Ordnern, die teilweise dubiose, eher aus der Luft gegriffene Namen

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