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Fundort Jannowitzbrücke

Fundort Jannowitzbrücke

Titel: Fundort Jannowitzbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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sich plötzlich um. In der Dunkelheit sah Anna nur seine Augen. Erschrocken starrten sie sie an, eine endlose Sekunde lang. Dann zog er blitzschnell seine Hose hoch und rannte davon. Kurz darauf war er in der Dunkelheit des Parkplatzes verschwunden.
    Die junge Frau am Boden war Ute. Kein Zweifel. Es war tatsächlich Ute. Ihr Mantel lag offen. Ihre Hose und ihr Slip waren bis zu den Knien heruntergerissen. Über ihre blassen Beine zog sich eine Spermaspur, die im Zwielicht der Laternen schimmerte.
    Am Hals hatte sie eine blutige Strangfurche. Ein Stück Wäscheleine lag lose auf ihrem Dekollete. Ihr Gesicht war angeschwollen und hatte eine bläuliche Farbe angenommen.
    Sieh nicht hin, dachte Anna verzweifelt. Sieh nicht hin. Bleib nüchtern. Du mußt sie retten. Sie fiel vor der jungen Frau auf die Knie und nahm ihren Kopf zwischen die Hände. Atemstillstand. Sie hatte keinen Puls mehr.
    Es war wie bei dem Jungen, den sie vor einem halben Jahr aus der Spree gezogen und ins Leben zurückgerufen hatte. Und am nächsten Tag war ihr Foto auf dem Titelbild des Kuriers gewesen. Sie mußte es nur wieder tun.
    Anna glaubte neben sich zu stehen. Sie sah sich bei den routinierten Bewegungen zu. Sah, wie Utes Polyesterbluse mit dem Burger-Point-Aufdruck auseinanderriß. Wie die Knöpfe über den Asphalt in die Dunkelheit rollten und der Aufdruck sich in einer Pfütze verfärbte.
    Sie schob Utes Kopf nach hinten und hob ihren Unterkiefer an. Dann schloß sie die Nase und drückte ihren Atem in Utes Lungen hinein. Sie zählte. Einundzwanzig, zweiundzwanzig. Mit ihren Fingern tastete sie nach dem Brustbein auf dem freigelegten Oberkörper. Sie nahm drei Finger breit, setzte ihren Handballen auf, streckte die Arme durch und drückte. Eins, zwei, drei. Immer weiter. Vier, fünf, sechs.
    Wieder drückte sie ihr den Atem in die Lungen, wieder massierte sie das Herz. »Bitte, bitte, bitte«, flüsterte sie. Doch nichts. Kein Puls, keine Atmung.
    Ihr wurde schwarz vor Augen. Die Panik ließ sich kaum noch unterdrücken. Bleib ruhig, sagte sie sich wieder. Bleib ruhig, bitte, bleib ruhig.
    Dann versuchte sie es erneut. Einundzwanzig, zweiundzwanzig. Eins, zwei, drei. Immer noch kein Lebenszeichen. Sie versuchte es wieder und wieder. Sie würde sie retten, sie würde es schaffen, Ute würde am Leben bleiben.
    Später konnte sie nicht sagen, wie lange sie es mit der Wiederbelebung versucht hatte. Wie oft sie ihren Atem in den toten Körper des Mädchens gestoßen hatte, in der verzweifelten Hoffnung, sie ins Leben zurückholen zu können. Sie hatte das Gefühl für die Zeit gänzlich verloren. Besinnungslos hockte sie neben der Toten. Starr und ohne irgendein Gefühl. Sie war wie gelähmt. Stoßweise atmete sie aus, starrte auf den Körper, der vor ihr auf dem Asphalt lag.
    Erst dann drang der Schmerz zu ihr durch. Er kam von weit her, überwältigte sie wie eine Lawine. Ihr Körper zog sich zusammen. Mit einem langgezogenen Schrei beugte sie sich über das Mädchen. Verzweifelt riß sie an ihrem Slip, bis er an den Beinen hochrutschte und ihre Scham bedeckte. Danach zog sie mit beiden Händen die Hose hoch. Umständlich hantierte sie an dem Reißverschluß, bis er sich endlich zuziehen ließ.
    Sie wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, als sie aufsah und die Gestalt außerhalb des Lichtkreises bemerkte. Die Gestalt, die unter einem Baum stand und zu ihr hinüberstarrte.
    Er ist noch hier, schoß es ihr durch den Kopf. Er hatte aus sicherem Abstand beobachtet, wie sie vergeblich um Utes Leben kämpfte. Er glotzte unter seiner Wollmütze hervor, genoß jeden Augenblick dieses Schauspiels.
    Anna überlegte nicht. Sie sprang auf und rannte los. Er würde ihr nicht entkommen. Sie vergaß, daß sie keine Waffe bei sich trug. Sie dachte nicht darüber nach, daß der Mann ihr körperlich überlegen sein würde. Sie rannte und rannte, kopflos und so schnell sie konnte.
    Der Mann zögerte nur eine Sekunde. Dann drehte er sich um und ergriff die Flucht. Er hatte einen großen Vorsprung. Doch Anna war schnell. In ihr öffneten sich alle Reserven. Ihre gesamte Kraft floß in ihren Körper und ließ sie immer schneller werden.
    Es dauerte nicht lange, da hatte sie ihn eingeholt. Sie hatte keine Strategie, keinen Plan, ihn zu überwältigen. Sie krallte einfach ihre Hand in seinen Kragen, riß ihn herum, warf sich in seinen Rücken und stürzte mit ihm zu Boden. Im Fall rutschte sie ab, knallte mit dem Gesicht auf und schlitterte über den

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