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Fundort Jannowitzbrücke

Fundort Jannowitzbrücke

Titel: Fundort Jannowitzbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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wieder etwas von meinem Vater gehört«, sagte er. »Ich habe jeden Kontakt abgewehrt. Bis zu dem Tag, an dem ich die Nachricht von seinem Tod erhielt. Er hat sich zu Tode gesoffen. Ich habe geglaubt, daß ich darüber Freude empfinden würde. Doch so war es nicht.«
    »Weil er sich Ihrer Wut entziehen konnte?« fragte Barbara.
    Michael war sprachlos. Dieser Gedanke war ihm nie gekommen. Er schob ihn schnell beiseite, er wollte sich keinesfalls darauf einlassen. »Es geht um Gerechtigkeit«, sagte er. »Nicht um Rache.«
    Er hatte seine Antworten gefunden. Er durfte sich nicht irritieren lassen.
    »Wenn ich zu seinen Lebzeiten gesehen hätte, daß er die Verantwortung für seine Taten übernommen hat, für die Hölle, die er uns allen schuf, vielleicht hätte ich ihm dann verziehen. Ich glaube zumindest, daß dadurch das Recht wiederhergestellt worden wäre.«
    Es hört sich so richtig an, dachte er. Ich muß nur daran festhalten.
    »Das ist für Sie die Gerechtigkeit?« Sie sah ihn skeptisch an.
    »Er war auch sich selbst eine Hölle«, sagte er. »Er hat an uns nur das weitergegeben, was er bis dahin selbst erfahren hatte. Haß und Demütigung.«
    »Er hatte also eine schwere Kindheit«, sagte sie verächtlich. »Soll das alles erklären?«
    »Natürlich nicht. Aber wenn er den Kreislauf durchbrochen hätte, denke ich, dann wäre für mich Recht entstanden.«
    Barbara schüttelte den Kopf. »Aber Ihre Mutter macht das nicht wieder lebendig.«
    Für eine Sekunde tauchten die Bilder wieder in ihm auf. Die verbrannte Scheibe Toast auf dem Küchenboden. Die grünen Fliesen, starr vor Dreck. Er saß da, zusammengekauert unter dem Küchentisch, die Knie eng an den Körper gezogen. Und über ihm die Schreie seiner Mutter.
    »Wollen Sie denn keine Genugtuung?« fragte Barbara. »Was ist mit Ihrer Wut geschehen?«
    Sie ist noch immer da, dachte er. Einen Teil seiner Wut hatte er nach all den Jahren noch immer nicht überwunden. »Ich mußte meine Wut in Trauer verwandeln.«
    Sie sah ihn verständnislos an. »Trauer worüber?«
    »Über das Leben meiner ganzen Familie«, erklärte er. »Ich glaube nicht daran, daß ein Mensch als Monster auf die Welt kommt. Wir selbst sind es, die diese Monster unter uns erschaffen. Mein Vater führte kein selbstbestimmtes Leben. Und glücklich wird er nie gewesen sein. Er hat nichts anderes kennengelernt als Haß. Glauben Sie nicht, daß es wert ist, darüber zu trauern?«
    Sie sah ihn lange an. Schließlich spielte ein Lächeln um ihre Lippen.
    »Wenn das Ihre aufrichtige Meinung ist«, sagte sie. »Weshalb arbeiten Sie dann bei der Polizei?«
    Sie behält Recht, dachte er. Er konnte nichts dagegen tun.
    »Es ist nicht immer einfach«, sagte er leise.
    Er lehnte sich zurück. Im Vernehmungszimmer war nichts zu hören außer dem Rauschen des Tonbandgerätes. Er rief sich seinen Auftrag ins Bewußtsein.
    »Frau Nowack. Würden Sie mir sagen, weshalb Sie heute nacht am Tatort waren?«
    Sie sah an ihm vorbei. »Ich war nur spazieren«, sagte sie tonlos. »Es war ein Zufall.«
    Michael warf einen Blick auf seine Notizen. »Waren Sie am vergangenen Montag um 21 Uhr 30 ebenfalls auf dem Parkplatz an der Alexanderstraße?«
    Sie zögerte, doch schließlich nickte sie leicht.
    »Weshalb sind Sie vor dem Team geflohen, das den Parkplatz observiert hat? Die Kollegin hat sogar einen Warnschuß abgegeben.«
    »Ich wollte nicht, daß man mir Fragen stellt«, sagte sie. »Ich wollte im Hintergrund bleiben.«
    »Was haben Sie denn am Tatort gesucht?« fragte er eindringlich. »Sie mußten doch wissen, daß die Polizei dort längst alle Spuren gesichert hat.«
    »Ich habe nichts gesucht«, sagte sie müde. »Es ging nicht um Spuren.«
    »Worum ging es dann?«
    Sie schüttelte langsam den Kopf. Michael betrachtete sie nachdenklich. Er mußte an die dicht behangene Wand in ihrem Schlafzimmer denken, die er entdeckt hatte. Die Bilder und die Zeitungsartikel.
    Und da verstand er plötzlich. Die Artikel der forensischen Traumatologie an ihrer Wand, die markierten Stellen, die Zeitabläufe der Todeskämpfe. Es konnte nur einen Grund geben, weshalb Barbara Nowack immer wieder zum Ort des Verbrechens gegangen war.
    »Sie wollten den Tod Ihrer Schwester nachstellen?« fragte er erstaunt.
    Barbara schloß die Augen und strich sich mit der Hand erschöpft über das Gesicht.
    »Habe ich recht?« fragte er. »Ging es Ihnen tatsächlich darum?«
    Sie war leichenblaß. »Wie soll ich nur mit so einem Tod
    fertigwerden«,

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