Fundort Jannowitzbrücke
Strohhalm. Er sah durch sie hindurch, schien sie nicht wahrzunehmen, obwohl sie direkt vor dem Fenster an seinem Tisch vorbeilief.
Sie stieß die Tür auf und trat in das Restaurant. Auf einen Blick sah sie, daß Ute nicht bei den anderen Mädchen hinter der Kasse stand. Sie konnte sie nirgends im Lokal entdekken.
Anna trat auf den Kommissar zu. Erst als sie sich vor seinem Tisch aufbaute, bemerkte er sie und sah überrascht auf.
»Guten Abend«, stotterte er. »Kann ich etwas für Sie tun?«
»Ich suche die Mitarbeiterin Ute Schaum«, sagte sie. »Sie müßte noch im Dienst sein.«
»Ute Schaum«, stammelte er verwirrt. »Keine Ahnung, ich bin erst vor fünf Minuten gekommen. Bei mir hat sie sich nicht abgemeldet.«
»Hatten Sie gerade einen Schichtwechsel?«
»Nein, ich habe nur einen Kollegen abgelöst. Er hat sich
den Magen verdorben.« Er sah hinüber zu den Toiletten. »Aber wir sind zu zweit. Klaus ist gerade auf der Toilette. Er wird Ihre Fragen besser beantworten können. Warten Sie doch solange.«
Anna sah sich in dem Schnellrestaurant um. Es waren nur einzelne Tische besetzt. Die wenigen Gäste saßen hinter ihren zerwühlten Tabletts. Sie tranken einen Kaffee oder stocherten in den Essensresten herum.
Sie hatte keine Lust zu warten. Wortlos wandte sie sich von Schöne ab und ging zur Verkaufstheke. Die Mädchen an der Kasse begrüßte sie mit einem kurzen Nicken, dann lief sie durch die Küche bis zum Pausenraum. Sie sah hinein, doch auch dort war Ute nicht.
Marga Rintow kam aus ihrem Büro. Offenbar hatte sie die Polizistin durch die Küche gehen sehen. Besorgt lief sie ihr entgegen.
»Gibt es Probleme, Frau Proschinski?«
»Nein, nein«, sagte sie schnell. »Ich suche lediglich die Ute. Können Sie mir sagen, wo ich sie finde?«
»Ich habe sie nach Hause geschickt.«
Anna sah sie erschrocken an. »Nach Hause? Wie lange ist das her?«
»Gerade eben«, sagte die Restaurantleiterin. »Sie ist erst ein paar Minuten weg.«
Anna drehte sich um und starrte zum Ausgang, als könnte sie das Mädchen noch auf dem Platz davongehen sehen. Der andere Kommissar verließ den Toilettenraum und kam auf sie zu.
»Ist etwas passiert?« fragte er.
»Ich suche eine Mitarbeiterin. Ute Schaum.«
»Sie ist vor etwa zehn Minuten hier raus.«
»Haben Sie sie nach Hause bringen lassen?«
»Sie ist mit der U-Bahn gefahren.« Er bemerkte ihren Blick. »Keine Sorge. Ich selbst habe sie bis zum Bahnsteig gebracht. Von dort aus waren es nur drei Stationen.«
»Sie haben sie alleine fahren lassen?« Anna hörte die Panik in ihrer Stimme.
»Sie hat darauf bestanden«, sagte er. »Was soll ihr in dem Zug auch schon passieren?«
Anna glaubte für einen Augenblick, daß ihre Beine nachgeben würden. Sie mußte sich an der Verkaufstheke abstützen. Dann ging der Schwindel wieder vorüber.
Die unheilvolle Ahnung hielt jedoch an. Du darfst nicht deinen Gefühlen nachgeben, sagte sie sich. Wahrscheinlich war alles in bester Ordnung.
»Ich fahre ihr nach«, sagte sie. »Vielleicht ist sie schon in Kreuzberg. Ich kann sie an der U-Bahnstation abfangen.«
»Was ist denn passiert?« fragte der Kollege. »Gibt es irgendwas Neues?«
»Ich erkläre es später!« Sie drehte sich zum Ausgang.
Kommissar Schöne stand hinter ihr, er mußte ihr gefolgt sein. Sie bemerkte es zu spät und rempelte ihn an.
»Passen Sie doch auf!« entfuhr es ihr.
Das träge Auftreten des Kollegen versetzte sie in Rage. Was war das nur für ein Kommissar, dachte sie. Während der Mörder erneut zuzuschlagen drohte, stand er hier herum und schlief bei der Arbeit ein! Begriffen diese Beamten denn gar nicht, daß sie ihren Job nicht gemacht hatten?
Schöne rief ihr etwas hinterher, doch sie achtete nicht mehr darauf. Sie beschleunigte ihren Schritt, stieß die Tür des Restaurants auf und ließ die Männer stehen. Draußen begann sie zu rennen. Es waren nur dreißig Meter bis zu ihrem Wagen. Sie riß die Tür auf, warf sich hinein und schaltete das Blaulicht wieder ein ehe sie davonraste.
Ute sah hinauf in den Himmel. Hinter den Plattenbauten ragten die gewaltigen Schornsteine der Gaswerke in die Nacht. Sie stießen ihre Dunstwolken aus, die sich zu riesigen Gebilden sammelten und hoch über der Stadt rosa leuchteten.
Sie zog ihren Mantel enger. Die Kälte tut mir gut, dachte sie. Das klärt den Kopf. Sie fühlte sich unendlich müde. So viel war geschehen in den letzten Tagen, und zum ersten Mal fand sie die Ruhe, darüber nachzudenken. Alles
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