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Fundort Jannowitzbrücke

Fundort Jannowitzbrücke

Titel: Fundort Jannowitzbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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flüsterte sie. »Wie kann ich mit dem Grauen fertigwerden, das Bettina durchleben mußte?« Sie fixierte eine Stelle an der Tischkante. »Ich kann nicht mehr schlafen, seitdem es passiert ist. Wenn die Nacht heraufzieht, warten die Monster bereits auf mich. Es ist, als würde ich Bettina schreien hören, als würde ich ihre Angst spüren.«
    »Frau Nowack, was haben Sie auf den Parkplätzen getan?«
    »Ich wollte das durchleben, was Bettina angetan wurde«, sagte sie schwach. »Ich habe gehofft, daß ich so die Monster besiegen kann. Wenn ich nur jede Sekunde nachstelle, die sie erlitten hat.«
    »Deshalb sind Sie wieder und wieder zum Parkplatz gegangen?«
    Sie nickte. »Ich habe mich auf den Boden gelegt, genau an die Stelle, wo Bettina gefunden wurde. Ich wollte all das sehen und riechen und schmecken, was sie zuletzt wahrgenommen hat. Und ich wollte den Schmerz spüren, den sie gespürt hat.«
    Sie zögerte. Dann hob sie ihre Hände und zog vorsichtig den schwarzen Rollkragen herunter. Michael erschrak. An ihrem Hals traten große und fleckige Strangmarken hervor.
    »Ich habe mir ein Seil um den Hals gelegt und zugezogen. Dann habe ich gezählt. Kurz vor meiner Ohnmacht habe ich das Seil gelockert. Immer wieder.«
    Vorsichtig zog sie den Kragen hoch und strich zaghaft darüber. »Bettina hat nur ein paar Minuten lang gelitten, danach hat der Tod sie von ihren Qualen erlöst. Ein paar Minuten nur. Und dennoch läßt mich das Grauen nicht mehr schlafen. Ich kann nichts dagegen tun.«
    »Sie dürfen sich keine Vorwürfe machen«, sagte Michael. »Sie konnten sie nicht beschützen.«
    »Aber sie war doch meine kleine Schwester«, rief sie schmerzerfüllt.
    Michael blieb ruhig und wartete ab. Er konnte ihr nicht helfen.
    »Ihre Angst ist es, die mir keine Ruhe läßt«, sagte sie.
    »Ihre Schmerzen kann ich auf mich nehmen. Doch wie soll ich ihr die Angst abnehmen können, wie soll ich den Schrekken erfahren, der sie in den wenigen Minuten erfaßt hat?«
    In der aufkommenden Stille hörte Michael nur die Spulen des Aufnahmegerätes.
    Am nächsten Morgen fühlte Michael sich wie gerädert. Er schleppte sich um kurz nach neun in den Besprechungsraum im fünften Stock. Kollegen standen im Flur vor der Tür herum und diskutierten lebhaft. Als hätten sie kein Schlafdefizit, dachte Michael und drückte sich an ihnen vorbei.
    Er verkroch sich in den hinteren Teil des Raumes. Müde setzte er sich auf einen Stuhl unter die Dachschräge. Eine Säule versperrte ihm den Blick. Ein Teil des Teams würde von dort aus nicht zu sehen sein. Doch an diesem Morgen war es ihm ganz recht so.
    Wolfgang Herzberger betrat den Raum. Er ging zum Pult und legte seine Unterlagen ab.
    Ihm sieht man den fehlenden Schlaf schon an, dachte Michael. Sein Chef blätterte unruhig in seinen Papieren. Wieder und wieder sah er ärgerlich auf und wartete darauf, daß Ruhe einkehrte. Er wirkt angespannt, dachte Michael. Es muß Probleme gegeben haben.
    Die Kollegen schienen das ebenfalls zu bemerken. Schneller als sonst verteilten sie sich im Raum und nahmen Platz. Ganz plötzlich wurde es ruhig, alle sahen zum Kommissionsleiter.
    Wolfgang holte tief Luft. »Ihr könnt euch vorstellen, daß der vierte Mord die Situation extrem verschärft hat«, sagte er. »Wir werden bereits jetzt mit Kritik bombardiert, obwohl die Zeitungen noch gar nicht erschienen sind. Die Presse wird ab morgen noch zusätzlichen Druck machen. Dann wird es auch mit der letzten Ruhe vorbei sein.«
    »Was sagt die Polizeipräsidentin?« rief jemand.
    Wolfgang nickte. »Ich komme gerade von einem Gespräch mit ihr und dem Generalstaatsanwalt«, sagte er. »Sie werden uns den Rücken freihalten. Jedoch wird dies nur ein kleiner Aufschub sein. Wir haben vierundzwanzig Stunden, in denen wir noch relativ abgeschirmt ermitteln können. Danach wird die Lage neu beurteilt werden.«
    »Und was soll dann passieren?« fragte eine Kollegin.
    Wolfgang sah sie nüchtern an. »Dann wird meine Position als Kommissionsleiter überprüft werden.«
    Es herrschte Stille im Besprechungsraum. »Wenn wir jedoch zusammenstehen«, sagte Wolfgang ruhig, »wird es nicht dazu kommen. Der Täter war unkonzentriert und hat wesentlich mehr Spuren hinterlassen als bei seinen bisherigen Taten. Und wir haben erstmals Zeugen.«
    Michael versuchte sich auf die Worte seines Chefs zu konzentrieren, doch die Müdigkeit drohte ihn zu überwältigen.
    »Fangen wir mit Barbara Nowack an«, sagte Wolfgang gerade. »Sie wurde am

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