Fundort Jannowitzbrücke
gebeugt. Er versuchte vergeblich, die ermittelnden Kollegen im Burger Point zu erreichen. Er wollte ihnen die Anweisung geben, Ute nicht aus den Augen zu lassen und sie persönlich nach Hause zu begleiten. Anna vermutete zwar, daß er diese Maßnahme nur ihretwegen einleitete. Aber das war ihr egal.
»Jetzt beruhigen Sie sich doch«, sagte der Fallanalytiker wieder. »Das Ganze ist nur eine Hypothese. Es ist einer von vielen Ermittlungssträngen. Die Überlegung kann sich genausogut als falsch herausstellen.«
Doch Anna hörte ihm nicht zu. Gebannt beobachtete sie Herzberger. Er lauschte noch immer ins Telefon.
»Und?« fragte sie.
Er zuckte mit den Schultern. »Weiterhin besetzt.«
Anna stöhnte auf.
»Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen«, sagte Herzberger mit ruhiger Stimme. »Vor Ort ist ein Ermittlungsteam. Auch ohne einen speziellen Hinweis wird es dafür sorgen, daß keines der Mädchen allein nach Hause gehen wird.«
»Trotzdem«, sagte Anna. »Man muß ihnen sagen, daß Ute diejenige ist, die in Gefahr schwebt. Auf sie hat es der Mörder abgesehen.«
»Das ist doch nicht gesagt«, sagte der Fallanalytiker. »Es ist lediglich eine Möglichkeit. Vergessen Sie das nicht.«
Anna tat die beschwichtigenden Worte mit einer Handbewegung ab.
»Denken Sie wirklich, daß diese Ute Schaum die einzige ist, die in das Profil passen könnte?« fragte er.
»Sie ist die einzige«, sagte sie. »Glauben Sie mir.«
Pohl schaute den Hauptkommissar an. »Der Täter könnte im Vorfeld versucht haben, sich ihr zu nähern. Vielleicht kann sie sich an einen verdächtigen Mann erinnern. Sie könnte wertvolle Hinweise für uns haben.«
Herzberger schwieg.
Doch der Fallanalytiker dachte bereits weiter. »Vielleicht könnte sie uns sogar zu dem Täter führen. Falls er sie noch immer beobachtet.«
Anna war bestürzt. »Sie wollen das Mädchen als Lockvogel benutzen?«
»Zu diesem Zeitpunkt können wir gar nichts sagen«, mischte sich Herzberger grimmig ein. »Wir bewegen uns auf sehr dünnem Eis.«
Er hielt sich den Hörer ans Ohr und wählte erneut. Dann schüttelte er wieder den Kopf und drückte die Gabel. Annas Geduld war am Ende.
»Ich fahre rüber«, sagte sie.
Ohne die Reaktionen der Männer abzuwarten, drehte sie sich um und stürmte hinaus. Das Treppenhaus lag im Dunkeln, und Anna mußte sich konzentrieren, um nicht zu stürzen. Sie konnte es sich selbst nicht erklären, doch mit jedem Schritt schien sich ihre Angst zu vergrößern.
Hör auf! befahl sie sich. Es gab keinen Grund zur Eile. Es war kurz nach zehn. Ute würde bis drei Uhr in der Nacht arbeiten müssen. Zu diesem Zeitpunkt stand sie noch sicher und unnahbar hinter Kasse 7 und lächelte die Gäste an.
Doch die Angst ließ sie nicht mehr los. Sie sprang in den Streifenwagen und fuhr mit quietschenden Reifen vom Hof. Fluchend ordnete sie sich in den Verkehr ein und hupte immer wieder die Autos von der Straße.
Eine Ampel sprang direkt vor ihr auf Rot. Doch statt abzubremsen, stellte sie Blaulicht und Martinshorn ein. Ein Autofahrer erschrak so, daß er ins Schlingern geriet. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte und die Fahrbahn freimachte.
Anna beschleunigte den Wagen und jagte über die Kreuzung.
Die Vorschriften waren ihr egal. Sie hatte nicht mehr die Nerven, sich in den Verkehr einzuordnen. Sie ließ das Blaulicht eingeschaltet und erhöhte ihr Tempo. So würde sie in wenigen Minuten am Alexanderplatz sein.
Wenig später bremste sie mit quietschenden Reifen vor dem Burger Point. Sie sprang aus dem Wagen und schlug die Tür hinter sich zu. Die Fensterfront erlaubte den Blick in die hell erleuchtete Filiale. Die meisten Tische waren leer. Es war nichts mehr zu sehen von dem Chaos, das noch vor kurzer Zeit dort geherrscht hatte.
Die Kassiererinnen standen hinter der Verkaufstheke und plauderten miteinander. Das Abendgeschäft war vorüber, Ruhe hatte sich ausgebreitet. An einem kleinen Tisch am Fenster saß einer der letzten Gäste. Anna erkannte ihn sofort wieder.
Der blasse Mann mit den dunklen Haaren war einer der Mitarbeiter aus Herzbergers Sonderkommission. Sie meinte sich zu erinnern, daß er Schöne hieß. Zuletzt hatte sie ihn an jenem Abend gesehen, als sie zum Leichenfundort von Bettina gerufen worden waren. Er war als letzter eingetroffen, lange nachdem der Ereignisort gesichert war.
Nun saß er am Fenstertisch, in seiner Hand hielt er einen Becher Cola. Gedankenverloren saugte er an dem
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