Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fundort Jannowitzbrücke

Fundort Jannowitzbrücke

Titel: Fundort Jannowitzbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
Vom Netzwerk:
Asphalt.
    Ihre Hand noch immer fest in seinem Kragen, ignorierte sie das Blut in ihrem Gesicht. Der Mann lag neben ihr auf dem Boden. Sie riß ihn mit aller Kraft herum. Die Wollmütze rutschte von seinem Kopf und gab das Gesicht frei. In diesem Moment ließ Anna los. Sie erstarrte. Es war eine Frau.

13
    Michael wußte, daß es bald vorüber sein würde. Er hatte einen toten Punkt, das war ganz normal um diese Uhrzeit. Doch jetzt hatte die Müdigkeit vollends von ihm Besitz ergriffen. Jeder Knochen schmerzte, und er wünschte sich sehnlichst ins Bett.
    Der nächtlich stille Beobachtungsraum war erfüllt vom Surren des Kaffeeautomaten. Er lauschte dem Geräusch und wartete auf seinen Kaffee. Die Vernehmung, die ihm bevorstand, hätte er zu gern auf morgen früh verlegt. Doch das war undenkbar. Die Ermittlungen liefen auf Hochtouren.
    Er holte seinen inzwischen achten Kaffee aus der Halterung und nahm einen tiefen Schluck. Die Brühe schmeckte abscheulich. Doch er würde weitertrinken und auf die Wirkung des Koffeins warten.
    Im Vernehmungsraum saß Barbara Nowack mit blassem Gesicht und starrte gegen die Wand. Sie hatte tiefe Ringe unter den Augen. Ihr schien es ebenfalls schwerzufallen, sich wach zu halten.
    Michael warf den halbleeren Pappbecher in den Papierkorb, begrüßte sie und setzte sich ihr gegenüber. Doch Barbara Nowack sagte nichts. Sie hatte geschwiegen, seit die Polizei sie am Tatort festgenommen hatte.
    Er klärte sie über ihre Rechte auf und drückte die Taste des Aufnahmegeräts.
    »Frau Nowack, woher wußten Sie, daß der Mörder heute nacht wieder zuschlagen würde?«
    Sie sah ihn nicht an. Müde strich sie sich die Haare aus dem Gesicht.
    »Wollten Sie ihn aufhalten?« fragte Michael. »Hat er Ihnen gesagt, daß er zuschlagen würde?«
    Nach einer Pause schüttelte sie den Kopf. »Ich wußte nichts davon.«
    »Sie waren zur Tatzeit auf den Parkplätzen«, fuhr Michael fort. »Nur wenige Meter entfernt. Was haben Sie dort gemacht, wenn Sie nichts von dem Mord gewußt haben?«
    Barbara schwieg. Er lehnte sich zurück und betrachtete sie eingehend, diese starke und unnahbare Frau, die er erst vor einigen Tagen kennengelernt hatte. Ihr Hochmut schien in dieser Nacht gebrochen.
    Am liebsten hätte er sie nach Hause geschickt. Er glaubte kein Recht zu haben, sie in diesem Zustand zu bedrängen. Doch statt dessen mußte er diese Situation für sich ausnutzen. Er würde nun auf keinen großen Widerstand mehr stoßen. Er würde sie zum Reden bewegen können.
    Barbara löste sich aus ihrer Starre. Sie sah ihn an, und er glaubte bereits, daß sie ihm nun alles erklären wollte.
    »Ihr Vater hat Ihre Mutter umgebracht«, sagte sie jedoch. »Er hat sie im Suff erschlagen.«
    Michael zog die Stirn in Falten. »Ja, das stimmt.«
    Barbara schien darüber nachzudenken. »Haben Sie Ihre Mutter geliebt?«
    Er zögerte. Eine Plauderei über seine Familie könnte ihm vielleicht als schwerer Vernehmungsfehler ausgelegt werden. Doch es stand niemand hinter der Beobachtungswand, alle Ermittlungsteams waren unterwegs. Er beschloß, darauf einzugehen.
    »Ich glaube schon, daß ich sie geliebt habe«, sagte er.
    »Sie glauben?«
    »Sie war mir keine gute Mutter. Aber geliebt habe ich sie wohl dennoch.«
    »Und Ihren Vater?« fragte sie. »Ihn müssen Sie furchtbar gehaßt haben.«
    Es war lange her, daß ihn jemand danach gefragt hatte. Er spürte einen vergessenen Schmerz in seiner Brust aufflammen.
    »Ja, das stimmt. Ich habe ihn sehr lange gehaßt.«
    Sie nickte kaum merklich, als hätte er sie in einer Überlegung bestätigt.
    »Was ist mit ihm passiert?« fragte sie.
    »Er kam für drei Jahre ins Gefängnis.«
    »Drei Jahre?« fragte sie erstaunt. »Für einen Mord?«
    »Es war Totschlag.«
    Sie sah ihn an. »Drei Jahre. Ist das gerecht?«
    Die alten Fragen, dachte er. Er hatte sie sich so oft gestellt. »Gefängnis und Gerechtigkeit, das hat im Grunde nicht viel miteinander zu tun.«
    Unwillkürlich fragte er sich, ob es besser gewesen wäre, das Tonband anzuhalten. Er nahm sich vor, die Stelle später zu löschen. Niemand brauchte davon zu erfahren.
    »Was ist denn dann für Sie Gerechtigkeit?« fragte sie.
    Er hatte lange darüber nachgedacht, und er hatte seine Antworten gefunden. Es ging nicht um seinen Vater, und es ging nicht um seine Familie. Gerechtigkeit war viel mehr. Er mußte nur den Überblick behalten, dann würde er nicht überwältigt von den Bildern, die er noch immer in sich trug.
    »Ich habe nie

Weitere Kostenlose Bücher