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Funke, Cornelia

Funke, Cornelia

Titel: Funke, Cornelia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rekkless
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dem rauen Sims klebten die blutigen Federn eines Vogels, und tief
unter sich sah er verbrannte Mauern und schwarze Hügel, in denen ein paar
verlorene Lichter glimmten. Er war in einem Turm. Verschwunden das Häusermeer
und die erleuchteten Straßen. Alles, was er kannte, war fort, und zwischen den
Sternen standen zwei Monde, von denen der kleinere rot wie eine rostige Münze
war.
    Jacob
blickte sich zu dem Spiegel um und sah darin die Angst auf dem eigenen Gesicht.
Aber Angst war ein Gefühl, das ihm schon immer gefallen hatte. Sie lockte an
dunkle Orte, durch verbotene Türen und weit fort von ihm selbst. Sogar die
Sehnsucht nach seinem Vater ertrank in ihr.
    Es gab
keine Tür in den grauen Mauern, nur eine Luke im Boden. Als Jacob sie öffnete,
sah er die Reste einer verbrannten Treppe, die in der Dunkelheit verschwand,
und für einen Augenblick glaubte er unter sich einen winzigen Mann an den Steinen
hinaufklettern zu sehen. Aber ein Scharren ließ ihn herumfahren.
    Spinnweben
fielen auf ihn herab und etwas sprang ihm mit einem heiseren Knurren in den
Nacken. Es klang wie ein Tier, doch das verzerrte Gesicht, das die Zähne nach
seiner Kehle bleckte, war so bleich und faltig wie das eines alten Mannes. Er
war sehr viel kleiner als Jacob und mager wie eine Heuschrecke. Seine Kleider
schienen aus Spinnweben gemacht, das graue Haar hing ihm bis zur Hüfte, und als
Jacob seinen dürren Hals packte, gruben sich gelbe Zähne tief in seine Hand.
Mit einem Aufschrei stieß er den Angreifer von seiner Schulter und stolperte
auf den Spiegel zu. Der Spinnenmann kam erneut auf die Füße und sprang ihm
nach, während er sich Jacobs Blut von den Lippen leckte, doch bevor er ihn
erreichte, presste Jacob schon die unverletzte Hand auf sein verängstigtes
Gesicht. Die dürre Gestalt verschwand ebenso wie die grauen Mauern und er sah
hinter sich wieder den Schreibtisch seines Vaters.
    »Jacob?«
    Die Stimme
seines Bruders drang kaum durch das Klopfen seines Herzens. Jacob rang nach
Atem und wich vor dem Spiegel zurück.
    »Jake,
bist du da drin?«
    Er zog
sich den Ärmel über die zerbissene Hand und öffnete die Tür.
    Wills
Augen waren weit vor Angst. Er hatte wieder schlecht geträumt. Kleiner Bruder.
Will folgte Jacob wie ein junger Hund und Jacob beschützte Will auf dem
Schulhof und im Park. Und verzieh ihm manchmal sogar, dass ihre Mutter ihn mehr
liebte.
    »Mam sagt,
wir sollen nicht in das Zimmer.«
    »Seit wann
tue ich, was Mam sagt? Wenn du mich verrätst, nehme ich dich nie wieder mit in
den Park.«
    Jacob
glaubte, das Glas des Spiegels wie Eis im Nacken zu spüren. Will lugte an ihm
vorbei, aber er senkte den Kopf, als Jacob die Tür hinter sich zuzog. Will war
vorsichtig, wo sein Bruder leichtsinnig, sanft, wo er aufbrausend, ruhig, wo er
rastlos war. Als Jacob nach seiner Hand griff, bemerkte Will das Blut an seinen
Fingern und blickte ihn fragend an, aber Jacob zog ihn wortlos zu seinem Zimmer
zurück.
    Was der
Spiegel ihm gezeigt hatte, gehörte ihm. Nur ihm.
     
    2
     
    ZWÖLF
JAHRE SPÄTER
     
    D ie Sonne stand schon tief über den Mauern der Ruine, aber
Will schlief immer noch, erschöpft von den Schmerzen, die ihn seit Tagen
schüttelten.
    Ein Fehler, Jacob, nach all den Jahren der Vorsicht. Er
richtete sich auf und deckte Will mit seinem Mantel zu.
    All die
Jahre, in denen er eine ganze Welt sein Eigen genannt hatte. All die Jahre, in
denen aus der fremden Welt das Zuhause geworden war. Vorbei. Schon mit fünfzehn
hatte Jacob sich für Wochen hinter den Spiegel gestohlen. Mit sechzehn hatte er
nicht einmal mehr die Monate gezählt und trotzdem hatte er sein Geheimnis
bewahrt. Bis er es einmal zu eilig gehabt hatte. Hör auf, Jacob. Es ist nicht mehr zu ändern.
    Die
Kratzwunden am Hals seines Bruders waren gut verheilt, aber am linken Unterarm
zeigte sich schon der Stein. Die blassgrünen Adern trieben bis hinunter zur
Hand und schimmerten in Wills Haut wie polierter Marmor.
    Ein Fehler nur.
    Jacob
lehnte sich gegen eine der verrußten Säulen und blickte hinauf zu dem Turm, in
dem der Spiegel stand. Er war nie hindurchgegangen, ohne sich zu vergewissern,
dass Will und seine Mutter schliefen. Aber seit ihrem Tod gab es auf der
anderen Seite nur noch ein leeres Zimmer mehr, und er hatte es nicht erwarten
können, die Hand wieder auf das dunkle Glas zu pressen und fortzukommen. Weit
fort.
    Ungeduld, Jacob. Nenne es beim Namen. Eine deiner hervorstechendsten
Eigenschaften.
    Er sah
immer noch Wills Gesicht

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