Funkensommer
Sie schlüpft in ihre Pantoffel. »Dann sollten wir ein paar schöne Kohlrabikugeln aus dem Garten holen. Hannah, kannst du mir dabei helfen?«
Überrascht sehe ich meine Mutter an, weil es eigentlich keine schwierige Sache ist, Kohlrabi aus der Erde zu ziehen. Aber ich will nicht widersprechen, weil ich derzeit schon genug Ärger am Hals habe. Also gehe ich mit. Und halte die Klappe.
Im Gemüsegarten kriechen unzählige Schnecken zwischen den Pflänzchen umher. Als ich zum Kohlrabibeet rüber balanciere, muss ich aufpassen, dass ich nicht auf welche trete. Das gäbe ansonsten grässlichen Schneckenschleim. Igitt!
Kaum habe ich das Kohlgemüse aus der Erde gezogen, wird mir klar, warum Mama wollte, dass ich mit in den Garten komme. Denn sie sagt: »Heute hat Karolina angerufen!«
Ich schüttle die Erde von den Kohlrabikugeln runter. Sie ist feucht vom vielen Regen.
»Sie macht sich große Sorgen!«
Ich knicke die Blätter ab und werfe sie auf den Komposthaufen.
»Jellena geht es nicht gut!«
Ich lege die Kohlrabikugeln in die große Schüssel, die Mama mitgebracht hat.
»Deshalb hat Karolina gefragt, ob du nicht mal bei Jellena vorbeischauen könntest. Anscheinend warst du schon lange nicht mehr bei ihr?«
Ich bleibe stehen.
Mama sieht mich an. »Warum habt ihr euch überhaupt gestritten?«
Ich senke den Kopf.
»Du solltest …«
»Nichts sollte ich«, unterbreche ich Mama finster. »Was gehen mich Jellys Probleme an!«
»Aber sie ist doch deine beste Freundin, Hannah. Es scheint ihr wirklich nicht gut zu gehen. Sie geht nicht mal mehr runter ins Geschäft. Rede doch mal mit ihr! Vielleicht sagt sie dir ja, was mit ihr los ist?«
»Nein!«
Mamas Blick wird streng. »Aber Hannah – jetzt sei doch nicht so. Was ist nur in letzter Zeit los mit dir? Du hängst nur noch in deinem Zimmer herum. Und da kannst du nicht mal zu deiner besten Freundin fahren, wenn man dich darum bittet? Ihr zwei werdet das Problem doch lösen können, das ihr anscheinend miteinander habt, oder?«
»Nein«, murre ich ein weiteres Mal.
Mama zieht scharf die Luft ein. »Ach herrje – was bist du nur starrköpfig! Zum Glück ist Raphael nicht so. Nimm dir mal ein Beispiel an deinem Bruder. Er hat es weiß Gott nicht leicht, aber er macht das Beste daraus! Wenn man ihm Hilfe anbietet, dann nimmt er sie auch an! Der zickt nicht so rum wie du!«
Ungläubig starre ich Mama an. »Das glaubst du aber nicht im Ernst! Du kriegst ja wirklich gar nichts mit! Was weißt du schon?!«, bricht es aus mir heraus.
Mama presst ihre Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. »Rede nicht in diesem Ton mit mir, Hannah. Hast du verstanden?«
»Pft«, mache ich unbeeindruckt. Mamas Kommentar schießt nämlich echt den Vogel ab! Außerdem, was habe ich schon zu verlieren? Nichts! Das mit Finn hat sich ohnehin erledigt. In wenigen Tagen wird er in England sein. Und dann?
Eben! Bei mir ist danach alles wieder beim Alten. Deshalb drücke ich meiner Mutter die Schüssel mit den Kohlrabikugeln in die Hand und sage: »Da hast du! Mir ist der Hunger vergangen!«
»Was soll denn das bedeuten?!«, will sie schnippisch wissen. Sie holt Luft, um loszuschmettern. Doch plötzlich kommt nichts mehr aus ihr heraus. Ihr Mund bleibt zu. Und ihr vorhin noch so strenges Gesicht wird auf einmal glatt. Aalglatt.
Verwundert drehe ich mich um, um zu erfahren, was diese plötzliche Veränderung bei meiner Mutter ausgelöst hat. Da sehe ich …
Das darf doch nicht wahr sein! Schon beginnt die Garten erde unter meinen Füßen locker zu werden. Wegzurutschen. Wegzubröckeln. Heftig fange ich zu zittern an, während meine Knie zu Pudding werden und mein Magen rebelliert … »Grüß dich, Finn«, zirpt Mama da auch schon und wuselt auf den schlaksigen Jungen zu, der soeben die Hofeinfahrt herauf geradelt ist. Sein blonder Haarschopf schaut unter einer Baseballkappe hervor. »Wie geht es dir? Ist alles in Ordnung in der Arbeit? Suchst du Raphael? Er ist nicht da? Er kommt erst zur Mittagspause nach Hause …«, plappert sie schrill. Hastig wischt sie sich die Hände an ihrer Jacke sauber und streckt sie über den Gartenzaun zum Gruß. »Oder ist es, weil er sich für heute Nachmittag freinehmen will? Weißt du, er muss zu einem Termin. Aber ich dachte, das ist längst mit deinem Vater abgesprochen?!«
Finn nickt verlegen. »Alles in Ordnung, Frau Seibner«, versichert er und schüttelt zum Beweis ihre Hand.
Da seufzt Mama erleichtert auf. Sehr erleichtert! Von
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