Funkensommer
Heulen. Ich wusste, dass es keine gute Idee war, mit Finn zu sprechen. Schon wieder bin ich nichts als ein Häufchen Elend.
Ich liege wie erschlagen im Bett und sehe mit tränenverhangenen Augen zu, wie sich die Vorhänge vor mir im Wind aufblähen. Sie wirbeln herum. Tanzen über den Dielenboden. Schweben auf und ab und rollen sich ein wie zu einer Gestalt. Fast scheinen die Gardinen lebendig zu werden, wie sie sich da vor mir in der Abendluft räkeln. Da taucht aus diesem Gebilde noch eine Gestalt auf. Eine kleinere. Und gleich daneben noch eine. Nun erkenne ich, dass es zwei Kinder sind. Gebannt sehen sie zu der ersten Gestalt hoch, die in einem Ohrensessel sitzt und strickt. Sie erzählt den Kindern etwas.
»Oma?«, flüstere ich verblüfft. Ich kann ihre Stricknadeln klappern hören. Die Kinder zu ihren Füßen halten sich ängstlich an den Händen. Ich weiß, wer da auf dem Boden vor Omas Lieblingssessel kauert. Denn die Geschichte kenne ich nur zu gut, die Oma da erzählt. Und das Mädchen neben mir kenne ich auch.
Ich will das Bild verjagen. Aus meinem Kopf streichen. Doch die bauschenden Vorhangfiguren wollen nicht verschwinden. Schließlich gebe ich nach. Zu müde bin ich, um gegen das Bild aus der Vergangenheit anzukämpfen. So lausche ich Omas Stimme, die daraufhin eindringlich durch die Nachtluft zu wispern beginnt.
»… dann haben sie die Hexe vom Felsen gestoßen, und sie musste jämmerlich ertrinken. « Omas Augen leuchten im hellen Schein des Feuers, das im Tischherd knistert.
Meine neue Kindergartenfreundin neben mir rückt noch näher an mich heran und piepst mit ihrem hellen Stimmchen: »Und dann? Was dann passiert ist? Bitte, Hannah-Oma. Weitererzählen …«
Oma sieht Jellena ganz eigenartig an. Und ich merke, wie mir die Gänsehaut über den Rücken kriecht. Wie gut, dass Mama und Papa im Stall sind – wenn die wüssten, dass Oma uns die Gruselgeschichten vom See erzählt. Dabei hat Mama verboten, darüber zu reden … vor allem, weil Jellena zum ersten Mal bei uns übernachtet, da soll sie sich nicht fürchten. Aber Mama ist ja grad nicht da … und meiner neuen Freundin scheinen die Geschichten auch zu gefallen.
Also drängle ich ebenso: »Ja, Oma, erzähl weiter! Erzähl uns noch ein Märchen! «
Da lässt Oma langsam das Strickzeug in ihren Schoß sinken. »Nein« , sagt sie leise und schüttelt den Kopf. »Das ist kein Märchen. Das alles ist wirklich passiert. Darum erzähle ich euch auch davon. Damit ihr wisst, welche Kraft sich hinter diesem Ort versteckt. Welche Gefahr! Der Jungfrauenfelsen ist verflucht. Seit dem Tage, als man die Hexe dort in den See gestoßen hat. Seitdem findet der See keine Ruhe mehr. Immer wenn der Nebel aufsteigt, kann man sie sehen. Die verlorenen Seelen, die auf dem See umherwandern. Sie alle haben ihr Leben am Felsen verloren. Mädchen waren sie. Gute Mädchen, so wie ihr! « Omas Blick wird starr. Das Feuer aus dem Herd spiegelt sich immer noch in ihren Augen. Ihre Stimme schnarrt, als sie weiterspricht: »Deshalb dürft ihr dort nicht hingehen. Geht nie zum Jungfrauenfelsen! Habt ihr gehört?«
Wir nicken klamm und halten uns noch fester an den Händen. »Versprochen, Hannah-Oma« , flüstert Jellena neben mir.
»Versprochen« , flüstere auch ich.
»Gute Mädchen« , seufzt sie erleichtert auf und ihre Hände fangen wieder zu stricken an.
Da sagt Jellena: »Vielleicht mein Papa ist auch von Jungfrauenfelsen verschluckt worden. Vielleicht er ist ja gar nicht von selber fortgegangen. Vielleicht …«
Die Stricknadeln hören zu klappern auf. Im Schein des Feuers sieht Oma auf einmal wie ein Geist aus. »Nein« , raunt sie hastig. Ihre Stimme stockt. Läuft da etwa eine Träne an Omas Wange hinunter? »Dein Papa ist nun in deiner Heimat« , flüstert sie. »In Bosnien, kleine Jellena. Und wenn es ihm besser geht, dann kommt er vielleicht eines Tages zurück, um dich zu besuchen …«
»Ja?«
Oma schließt die Augen. Und presst die Lippen fest aufeinander. Wie ein Strich sieht ihr Mund aus. »Ja!«, quetscht sie hervor.
Da entspannt sich Jellenas Hand in meiner. »Hoffentlich das ist bald« , seufzt sie. »Denn ich meinen Papa sehr vermissen …«
Bauernschlau
»Hannah, pass auf! Die Ferkel laufen geradewegs auf dich zu!« Papa steht auf der anderen Seite des Ganges und treibt die Schweine voran. Ein rosarotes, wild grunzendes Rudel mit fliegenden Ohren kommt auf mich zugetrippelt. Grrr-Grrr, machen sie. Grrr-Grrr.
Schnell öffne ich
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