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funny girl

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Titel: funny girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony McCarten
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den nächsten Selbstentblößungskandidaten auszusuchen. Azime betete, dass die Wahl nicht auf sie fiel. Wie hatte sie nur so verrückt sein können, hierherzukommen? Was wusste eine Jungfrau wie sie schon von den Dingen, über die Johnny seine Witze machte; was wusste sie von Drogen und vom Bumsen, davon, wie es ist, wenn man literweise Bier kotzt, und von den anderen Eckpfeilern dieser Art von Komik? Wie sie so dasaß, einen Block mit halbfertigen Witzen auf den Knien, fühlte sie sich dumm, stümperhaft, überfordert, weltfremd, irgendwie behindert und uninteressant, vor allem aber war sie nicht komisch, sie war alles andere als komisch, denn was hatte sie in ihrem kleinen, behüteten Leben schon mehr getan, als es in seinem kleinen, behüteten Rahmen zu leben?
    »Arthur!«
    Azime seufzte erleichtert, stieß die Luft aus, von der sie gar nicht gewusst hatte, dass sie sie angehalten hatte.
    Arthur Miles, Enddreißiger, Ex-Strafgefangener, über und über tätowiert, hager, ein Gesicht, das nur eine Mutter lieben konnte, schiefe Zähne mit Silberkronen. Das schüttere Haar schlecht geschnitten. Kleidung aus dem Supermarkt. Produkt eines zerrütteten Lebens. Und doch hatte er ein sanftes Wesen, nachdenklich, geradezu schüchtern. Eines war allen Kursteilnehmern klar: Arthur hatte Talent. Er hatte eine Komikerrolle, die ihm auf den Leib geschrieben war: die des reumütigen Verbrechers, das authentische Ergebnis von Erfahrungen, die sich die wenigsten vorstellen konnten. Er hatte gelernt, das Leben aus seinem ganz eigenen Blickwinkel zu betrachten, und nutzte diesen Blickwinkel jetzt für seine Texte, die wie Berichte aus einem unbekannten Land klangen.
    ARTHUR : Ich bin Arthur. Mein dunkles Geheimnis? Ich war mal im Knast. – Ihr glaubt mir nicht? (Er zieht sein Hemd aus. Sein ganzer Oberkörper ist über und über tätowiert. Der ganze Kurs klatscht Beifall.) Glaubt mir, so schlechte Tattoos bekommt man nur im Gefängnis. Man sollte meinen, die kriegen das besser hin, oder?… Immerhin habe ich vollkommen bewegungslos da auf dem Hof gelegen. Sechs andere Knackis haben mich festgehalten. Tätowieren im Gefängnis – man kann dafür auch sagen »Messerangriff in Zeitlupe«. Wie ist das so im Gefängnis? Ein Fitnesscenter mit gelegentlichem Analverkehr. Besser kann man es nicht beschreiben. Meine Oma fragt mich oft: »Arty, wie viel Analverkehr hast du da aushalten müssen?« Ich antworte: »So viel, wie ich wollte, Omi.« Darauf sie: »Klingt wie normales Eheleben, nur mit regelmäßigen Mahlzeiten.« Wenn man im Gefängnis klarkommen will, braucht man Humor. An meinem ersten Tag kam ich in einen offenen Zellenblock, jeweils zwei Mann in einer Zelle. Als am Abend die Lichter ausgingen, saß ich auf meiner Pritsche und kriegte die Panik. Mein Zellengenosse ging ans Gitter und rief: »Nummer zwölf!« Der ganze Zellenblock fing an zu lachen. Ein paar Minuten später rief jemand anderes im Block: »Nummer vier!« Genau das Gleiche, alle Mann lachten. Ich fragte meinen Zellengenossen, was da vorgeht. Er sagt mir, sie sind alle schon so lange da drinnen, dass jeder sämtliche Witze kennt, und deswegen rufen sie nur noch die Nummer und erzählen nicht mehr den ganzen Witz. Damit ich auch mal einen Lacher bekam, ging ich ans Gitter und rief: »Nummer sechs!« Nichts. Totenstille. Ich fragte meinen Zellengenossen, wieso keiner lachte. »Na ja«, antwortete er, »es ist ja nicht der Witz allein. Es kommt darauf an, wie man ihn erzählt.«Tschüss. (Gelächter.)
    Unter dem aufmunternden Applaus der anderen verließ Arthur die Bühne, und Kirsten merkte an, dass der Witz mit dem Messerangriff, den sie schon vorher gehört hatten, jetzt viel besser funktionierte, weil Arthur das Wort »Zeitlupe« hinzugefügt hatte.
    »Lisbeth!«
    Lisbeth: Manisch-depressiv. Mitte zwanzig. Himmelhoch jauchzend. Zu Tode betrübt. Hoffnungsvoll. Nihilistisch. Alpha und Omega. Auf und ab. Aber immer witzig. Humor war ihr Gyroskop auf einem schwankenden Ozean.
    LISBETH : Ich bin Lisbeth. Mein dunkles Geheimnis ist, dass ich an einer bipolaren Störung leide. Ich bin manisch-depressiv. Kurz gesagt: mal juchhu!, mal buhu! Auf dem Spielplatz habe ich immer auf der Stimmungsschaukel gesessen. Meine Stimmungen schaukeln rascher auf und ab als der Schwanz eines Joggers. Als der Arzt mir gesagt hat, ich sei manisch-depressiv… da wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. (Gelächter.) Vielleicht sollten wir erst mal ein paar Begriffe klären.

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