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funny girl

funny girl

Titel: funny girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony McCarten
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offenbar erzählte er eine sehr lustige Geschichte –, und dann lachte er. Was für ein Lachen. Das Lachen eines glücklichen Menschen. Die Wut in Azimes Bauch wuchs; dieser Verbrecher war auf freiem Fuß, er konnte wie jeder brave Bürger nach Lust und Laune an einem schönen Abend stehen bleiben und Witze erzählen, ohne sich zu schämen. Es war ein Skandal! Sein Lachen hatte eine solche Leichtigkeit – das war das Erschreckendste. Sie sah, wie sich der von einem grauen Bart umwucherte Mund öffnete, wie der Mann den Kopf in den Nacken legte und mit hocherhobenem Kinn den schwabbeligen Hals reckte wie ein Pelikan, der seine Beute verschlingt. Und das Geräusch – tief und dröhnend unter den Ladenmarkisen.
    Hastig überquerte Azime die Straße, um es nicht mehr hören zu müssen – doch fast wäre sie zu schnell gewesen. Ein Hupen, und mit quietschenden Reifen schoss ein Auto vorbei. Es verfehlte sie nur um Zentimeter. Sie erreichte die andere Straßenseite, doch selbst dort war das Lachen dieses alten Mannes noch zu hören. Wie kann er es wagen! Wie kann dieser Dreckskerl es wagen zu lachen. Wie kann er es wagen, auch nur einen Augenblick lang glücklich zu sein! Besaß er kein Fünkchen Anstand? Ein solcher Mann hatte sein Anrecht auf Lachen, auf Glück verwirkt, dachte Azime wütend. Ein solcher Mann sollte die Fähigkeit zu lachen ein für alle Mal verlieren, als Strafe für das, was er getan hat, er sollte dazu verdammt sein, allem Komischen nur mit stumpfem Unverstand zu begegnen, seine innere Anspannung sollte für immer ungelöst bleiben und ihn innerlich zerfressen.
    Angewidert ging sie rasch weiter, noch immer von diesem Lachen eines Mörders verfolgt. Ihren Döner warf sie halb aufgegessen in einen Papierkorb. Sie nahm nichts mehr wahr, ihre Neugier war erstickt, das Banale wirkte nur noch banal, das Alltägliche alltäglich, die vertraute Welt barg keine erstaunlichen Geheimnisse mehr.
    Am nächsten Morgen erwachte sie mit einem aufgeschlagenen Buch auf der Brust, ihrem nächtlichen Mittel gegen Schlaflosigkeit. Aber sie war unruhig und ging innerlich aufgewühlt zur Arbeit.
    »Tochter! Was immer deine Einstellung verändert hat, mach weiter damit!«
    Diese aufmunternden Worte, die Aristot ihr quer durch das Lager zurief, waren eine Reaktion darauf, dass Azime sich in ihrem telefonzellengroßen Büro mehrere Stunden lang beeindruckend fleißig über die Geschäftsbücher gebeugt hatte. Was Aristot nicht wusste, nicht wissen konnte, war, dass Azimes Fleiß nicht ausschließlich der An- und Auslieferung von goldverzierten Lehnstühlen und fürstlichen Fauteuils galt. Mindestens die Hälfte dieser Zeit verbrachte sie damit, merkwürdige Dinge zu notieren, eine Bestandsaufnahme ihres Lebens in insgesamt zehn Punkten, insbesondere ihres Lebens als Buchhalterin bei Gevaş’ Orientmöbel – einfach spitze! Gegründet 1986. Sie gab sich alle Mühe, etwas zu finden, was daran lustig oder einzigartig war.
    1. Langweiliger Job, hässliche Möbel.
    2. Langweiliges Leben, überhaupt kein Leben, Einkaufen, Freundinnen, Banu, Deniz, Comedy.
    3. Traditionell kurdischer Hintergrund, bescheuerte Familie, liebevolle Familie, starke Gemeinschaft, Kultur, Unterdrückung, mittelalterlich, glückliche Zeiten.
    4. Unverheiratet, Heiratsvermittler, verzweifelte Mutter, Deniz, Jungfrau, Damenbart.
    5.
    6.
    7.
    8.
    9.
    10.
    Begonnen hatte sie den Tag mit einem leeren Bildschirm, doch bis zum Mittag war es ihr immerhin gelungen, einige der Leerstellen zu füllen. Ja, sie hatte ein paar Themen ausfindig gemacht, über die sie glaubwürdig sprechen konnte, aber was hatte sie darüber zu sagen? Die Liste sah so nüchtern aus. Wie sollte sie über derart ernste Themen Witze machen?
    Als ihr Vater durch das Lager herüberkam, klickte sie die Liste weg und öffnete rasch ein paar Tabellen. Sie tat, als fülle sie eine davon aus, bis ihr Vater neben ihr stand und mit einem Blick auf den Bildschirm eine neue Bestellung in den Eingangskorb legte.
    »Alles in Ordnung?«
    »Alles in Ordnung, Baba.«
    »Braves Mädchen. So soll es sein.«
    Er hauchte ihr einen väterlichen Kuss auf den Scheitel, dann legte er ein in Cellophan gewickeltes Stück Schokolade auf ihren Rechnungsblock. Und schon war er wieder weg.
    Sie lächelte und wickelte die Schokolade aus. Als sie noch ein Kind war, hatte Baba immer ein paar Süßigkeiten für sie in der Tasche gehabt, stets bereit, ihr beim leisesten Anzeichen von Wohlverhalten eine davon in die Hand

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