Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Furchtbar lieb

Furchtbar lieb

Titel: Furchtbar lieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen FitzGerald
Vom Netzwerk:
Flughäfen überprüft.
    Sie hatte in Glasgow gegen halb neun morgens Geld abgehoben, aber keine Kreditkarten benutzt.
    Wir brauchten vierzig Minuten bis Loch Katrine, und als wir ankamen, hatte die örtliche Polizei das Haus bereits durchsucht. Zwar hatten sie nichts gefunden, was auf einen Aufenthalt Sarahs in letzter Zeit schließen ließ, aber sie wollten uns etwas zeigen.
    Ein Polizist wartete an der Haustür auf uns. »So, wie es aussieht, ist hier seit einiger Zeit niemand gewesen, aber kommen Sie mal mit und sehen sich das an.«
    Ich folgte dem Polizisten in das große Schlafzimmer. Vor einem umgekippten Schrank blieb er stehen. Dahinter befand sich ein staubiger Alkoven.
    So was gibt es in jeder Geschichte über Psychopathen, oder? Abgeschlossene Zimmer mit schlechter Beleuchtung und Bildern und Zeitungsausschnitten an der Wand. Nur, dass die Bilder meist potentielle Opfer zeigen und die Ausschnitte Verletzte. In diesem Fall kamen mit jedem Pendeln der einzigen Glühbirne Bilder eines lächelnden Gesichts in den Blick.
    Der Mann bekommt einen Preis in L. A.
    Steigt in London in sein Auto ein.
    Heiratet in Glasgow.
    Wird vom »Guardian« interviewt.
    Kommt in Islington aus dem Krankenhaus.
    Auf allen Fotos war mit einem schwarzen Stift wütend herumgekritzelt worden.
    Und der Mann, um den es ging – war Mike Tetherton.
    »Das ist Sarahs Stiefvater«, sagte ich.
    Chas kam in den Raum und sah die Bilder. Sein Gesichtsausdruck änderte sich, und sein ganzer Körper wurde steif.
    »Ich verstehe das nicht«, sagte ich. Ich wurde panisch, weil uns scheinbar die Hinweise ausgegangen waren, wo wir Robbie finden konnten. Mike Tetherton hatte in Sarahs Leben keine Rolle mehr gespielt, seit sie sechs Jahre alt war. Sie hatte ihn niemals erwähnt und ihn nicht einmal zu ihrer Hochzeit eingeladen.
    Chas führte mich ins Wohnzimmer und sagte mir, ich solle mich auf das Sofa setzen. »Mike Tetherton ist der Mann, den ich angegriffen habe«, sagte er dann.
    »Was? Was hat das mit der ganzen Sache zu tun? Wir müssen Robbie finden.«
    »Erinnerst du dich daran, wie du dich bei deiner Mutter auf dem Dachboden übergeben hast?«
    »Als ich das Schmuckkästchen gefunden habe?«
    »Sarahs Stiefvater hat es dir gegeben.«
    Er schaute mich eindringlich an und wartete offensichtlich darauf, eine Erkenntnis in meinen Augen zu sehen. Zunächst verwirrte mich das. Dann sagte er: »Als du sechs Jahre alt warst, Krissie.«
    Es war so unschuldig, dieses Kistchen, sein Blumenmuster mit dem Besatz aus silbernem Glimmer. Ein so hübsches Ding, diese weiße Ballerina. Ein so schönes Lied, »Doktor Schiwago«, wie es klagend aus der Spieluhr tönte.
    Tränen schossen mir in die Augen, als sie sich mit Erinnerung füllten.
    Ich hatte nie an diesen ganzen Quatsch über verdrängte Erinnerungen geglaubt, und ich hatte all die Sozialarbeiter gehasst, die sich endlos darüber ausließen. Die Vorstellung, dass Menschen irgendwelches Zeug in ihrer Erinnerung vergraben und einfach so vergessen können, war mir lächerlich erschienen. Echte Erfahrungen konnten nicht durch einen Geruch oder einen Klang oder einen Gegenstand an die Oberfläche zurückgeholt werden.
    Ich hatte mich geirrt. Es war, als würde ein kompletter Teilmeines Lebens gegen die Fensterscheibe fliegen, das Glas durchbrechen und tot vor meine Füße fallen. Da war er. Sehr unvermittelt, sehr erschreckend und sehr hässlich.
    Ich erinnerte mich daran, wie freundlich Mike gewesen war. Ich hatte immer darum gebettelt, zum Spielen zu Sarah gehen zu dürfen, weil wir dort Chips bekamen, wann immer wir wollten, und einmal sogar »Prisoner Cell Block H« sehen durften, eine Serie, die mein Vater verboten hatte, weil das »eine verdammte Lesbensendung« sei. Und selbst als wir zum ersten Mal in das Gästezimmer gegangen waren, um in Mikes »Noddy«-Büchern zu lesen, und als Sarah zum Pinkeln in das angrenzende Badezimmer gegangen war, und sogar dann, als er versehentlich ein Glas Johannisbeersaft über mich verschüttet hatte und mir die Kleider auszog, um mich mit einem Handtuch abzutrocknen, selbst nach diesem ersten Mal wollte ich dort immer noch lieber als irgendwo sonst auf der ganzen Welt spielen.
    Erst nach dem nächsten Mal, als es keine Chips und keinen Johannisbeersaft und keine »Noddy«-Bücher gab, fing ich an, meine Meinung zu ändern. Sarah war wieder zum Pinkeln ins Badezimmer gegangen, und da es keine tollen Sachen gab, die mich ablenken konnten, bemerkte ich, dass er das

Weitere Kostenlose Bücher