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FutureMatic

FutureMatic

Titel: FutureMatic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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sie hasste es ganz besonders, dabei zusehen zu müssen, wie jemand das Zeug nahm, es sich auf diese typische Weise ins Zahnfleisch rieb, ganz scheußlich war das, weil es einfach so abartig war. Zuerst wurden ihre Lippen taub, so dass sie ein bisschen sabberten, und das fanden sie dann auch noch total komisch. Am schlimmsten fand sie jedoch daran, dass sie es auch selbst schon genommen hatte und dass sie, als sie jetzt zusah, wie Saint Vitus sich eifrig eine satte Dosis ins Zahnfleisch massierte, trotz dieser ganzen guten Gründe, das Zeug zu verabscheuen, den Drang verspürte, ihn um etwas zu bitten.
    Das meinten sie vermutlich damit, wenn sie sagten, der Stoff mache süchtig. Sie hatte nur eine winzige Prise von dem Country-Sänger abgekriegt, als der ihr die Zunge in den Mund gesteckt hatte (und wenn man es nur auf die Art kriegen könnte, würde sie 276
    drauf verzichten, dachte sie), und schon zupften die Diz-Moleküle an Rezeptoren in ihrem Gehirn und sagten: »Gib her, gib her.« Und dabei war sie nicht mal richtig drauf gewesen, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie sie es meinten, wenn sie das auf der Straße sagten.
    Da Carson bei Real One mal eine Sequenz über die Geschichte der Stimulantien koordiniert hatte, wusste Chevette, dass der Suchtfaktor von Dancer viel höher war als der von Crack-Kokain.
    Die Sucht schlug zwar nicht ganz so gnadenlos schnell zu, aber sie glaubte, dass sie trotzdem nur knapp dran vorbeigeschrammt war damals, als sie mit Lowell ab und zu mal was genommen hatte. Mit Lowell, der sich immer wieder lang und breit darüber ausgelassen hatte, dass der von ihm ausgearbeitete Drogenein-nahmeplan seine Funktionstüchtigkeit in der Realität optimieren, aber keinesfalls so eine hässliche Suchtgeschichte zur Folge haben würde. Man musste eben mit dem Zeug umgehen können, musste wissen, wann man es nahm und vor allem, warum. So starkes Zeug, erklärte Lowell immer wieder, sei nicht einfach nur für den Drang da, mal so nebenbei zur Erholung abzuspritzen. Es solle einen befähigen, was zu machen. Solle einem Power geben, sagte er, so dass man was machen und es vor allem auch zu Ende bringen könne.
    Bloß dass Lowell, wenn er auf Diz war, vor allem Sex machen wollte, die Sache aber gerade wegen des Diz nicht zu Ende bringen konnte. Was Chevette nicht weiter gestört hatte, weil er ansonsten eher einer von der schnellen Truppe gewesen war. In der Sequenz bei Real One hatte es geheißen, Dancer ermögliche den Männern ein Erlebnis, das dem weiblichen Orgasmus viel näher komme, eine Art lang gezogener, weniger stark lokalisierter und, nun ja, nicht so schmieriger Klimax.
    Dancer war ziemlich tödliches Zeug – zunächst einmal inso-fern, als es die Leute dazu brachte, miteinander ins Bett zu springen. Wenn Fremde zusammen Dancer nahmen und es auch nur im Geringsten zwischen ihnen knisterte, fanden sie sehr rasch, 277
    dass es im Grunde eine gute Idee war, die man am besten sofort in die Tat umsetzen sollte, allerdings nur, wenn sich der oder die andere auch bereit erklärte, es zu treiben, bis beide so gut wie tot waren.
    Und die Leute starben wirklich, wenn der Stoff im Spiel war; Herzen hörten auf zu schlagen, Lungen vergaßen zu atmen, winzige, lebenswichtige Gehirnareale explodierten. Die Leute brachten einander im Dancer-Rausch um und später auch andere kalt-blütig, um sich noch mehr von dem Zeug zu beschaffen.
    Es war eine üble Droge, daran bestand kein Zweifel.
    »Hast du noch was davon?«, fragte sie Saint Vitus, der sich mit einem dicken Papiertaschentuch voller brauner, getrockneter Blutklümpchen an den spuckeglatten Mundwinkeln herumtupfte.
    Saint Vitus fixierte sie mit seinen schlitzartigen Brillengläsern.
    »Du machst wohl Witze«, sagte er.
    »Ja«, Chevette stieß sich vom Hocker ab, »hast Recht.« Musste an der fortgeschrittenen Zeit liegen. Was war nur in sie gefahren?
    Sie roch seinen metallischen Atem in der Tonkabine.
    »Das war’s«, sagte Tessa und nahm die Brille ab. »Die Menge lichtet sich. Chevette, du musst mir helfen, die Kameraträger ein-zusammeln.«
    Saint Vitus grinste blöde. Darüber, vermutete Chevette, dass jemand anders so was wie Arbeit zu erledigen haben könnte.
    »Carson hast du nicht gesehen, oder?«, fragte Chevette und trat ans Fenster. Von oben betrachtet, bewegte sich die schrump-fende Menge auf eine Art, die den Gedanken nahe legte, dass es dafür einen Logarithmus gab: durcheinanderlaufen und sich zer-streuen.
    »Carson?«
    Sie

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