Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
FutureMatic

FutureMatic

Titel: FutureMatic
Autoren: William Gibson
Vom Netzwerk:
gefährlich, wie Rydell wusste, und konnte leicht tödlich enden; er war bei Konzerten Ordner gewesen und hatte gesehen, wie Leichen von Absperrgittern gepflückt worden waren.
    Er blieb, wo er war, schonte seine schmerzende Seite, so gut es ging, und wartete darauf, dass der Schal etwas unternahm.
    Wo war Rei Toei? Im Dunkeln hätte sie wie die Anschlagtafel eines Kinos leuchten müssen, aber es war nichts von ihr zu sehen.
    Und dann war sie da, eher Komet als Fee, zischte an Rydells Schulter vorbei dorthin, wo er den Schal zuletzt gesehen hatte, und verströmte helles Licht. Sie umkreiste den Kopf des Schals zweimal, schnell wie der Blitz, und Rydell sah, wie er mit seinem Schießeisen nach ihr schlug. Nur eine Kugel aus silbernem Licht, die sich so schnell bewegte, dass sie Spuren auf Rydells Netzhaut hinterließ. Der Schal duckte sich, als sie direkt auf seine Augen zu-schoss; er wirbelte herum und lief nach links. Rydell sah, wie das Licht sich ein wenig ausdehnte und wie ein kalter, fahler Kugel-blitz an den Innenwänden der dunklen Bar herumsauste. Leute stöhnten auf, schnappten nach Luft und schrien, als sie vorbei-schoss. Vorbei an dem wogenden Knäuel an der Tür, wo schon etliche bewusstlos am Boden lagen, und immer noch keine Spur von Chevette.
    Doch dann schwenkte die Rei-Kugel ins Innere des Raumes, tiefer, und Rydell sah Chevette auf Händen und Knien in Richtung Tür krabbeln. Er lief zu ihr hin, so gut er konnte – seine Seite fühlte sich an, als würde sie gleich zerreißen –, bückte sich, packte sie, zog sie hoch. Sie wehrte sich.
    »Ich bin’s«, sagte er und spürte, wie unwirklich es war, sie hier und auf diese Weise wiederzusehen, »Rydell.«
    »Was zum Henker machst du hier, Rydell?«
    »Abhauen.«
    284
    Der blaue Blitz und das Fwut des Bolzenschussgeräts kamen gleichzeitig, aber Rydell hatte das Gefühl, als wäre das Geschoss schon vorher an seinem Kopf vorbeigezischt. Die Antwort er-folgte sofort: Eine weiße Lichtkugel nach der anderen wurde von hinten an ihm vorbeigeschleudert. Aus dem Projektor, erkannte er, und wahrscheinlich direkt in die Augen des Schals.
    Er packte Chevette unterm Arm und schleifte sie über die Tanzfläche. Adrenalin überflutete den Schmerz in seiner Seite. Der Strom projizierten Lichts hinter ihm war gerade hell genug, dass er die Wand rechts von der Tür sehen konnte. Er hoffte, dass sie aus Sperrholz und nicht allzu dick war, als er das Schnappmesser aus der Tasche zog, es aufklappte und die Klinge mit erhobenem Arm genau auf Augenhöhe hineintrieb. Sie fuhr bis zum Heft hindurch, und er riss sie seitwärts und dann nach unten, hörte ein merkwürdiges kleines Zischeln sich voneinander lösender Holz-fasern. Er schaffte es bis auf Hüfthöhe, drehte das Messer dann wieder nach links und fuhr damit auf der anderen Seite noch drei Viertel des Weges nach oben, bevor er das glasartige Tink der brechenden Keramik hörte.
    »Tritt zu. Dahin«, sagte er und stieß mit dem Stummel der Klinge gegen die Mitte des ausgeschnittenen Teils. »Stütz dich an mir ab. Tritt zu!«
    Und das tat sie. Chevette konnte wie ein Maulesel treten. Beim zweiten Versuch gab das Segment nach, und er hob sie hoch, schob sie hindurch und versuchte, nicht vor Schmerz zu schreien.
    Er wusste nicht genau, wie, aber er schaffte es hindurch, obwohl er jeden Moment damit rechnete, dass ihn eins dieser Unter-schallgeschosse erwischen würde.
    Draußen vor der Tür lagen weitere Ohnmächtige, andere knie-ten daneben und versuchten, ihnen zu helfen.
    »Hier lang«, sagte er und humpelte Richtung Rampe und Lucky Dragon los. Aber sie war nicht bei ihm. Er wirbelte herum und sah, dass sie in die andere Richtung davonrannte. »Chevette!«
    Er lief hinter ihr her, aber sie wurde nicht langsamer. »Chevette!«
    285
    Sie drehte sich um. Ihr rechtes Auge schwoll an, wurde blau, schwamm vor Tränen; das linke war groß und grau und wild. Es war, als sähe sie ihn, ohne ihn jedoch zu erkennen. »Rydell?«
    Und obwohl er die ganze Zeit an sie gedacht, sich an sie erinnert hatte, war es etwas ganz und gar anderes, sie jetzt vor sich zu sehen: ihre lange, gerade Nase, ihre Kinnlinie, das Wissen, wie ihre Lippen im Profil aussahen.
    »Schon gut«, sagte er, denn mehr wollte ihm einfach nicht ein-fallen.
    »Ist das kein Traum?«
    »Nein«, sagte er.
    »Sie haben Carson erschossen. Jemand hat ihn erschossen. Ich hab gesehen, wie ihn jemand erschossen hat.«
    »Wer war das? Warum hat er dich geschlagen?«
    »Er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher