FutureMatic
sagt der Mann, »aber du bist süchtig nach Komplexität.«
»In einem wörtlicheren Sinn, als du ahnst«, sagt die Stimme, und der Mann stellt sich die paar Quadratzentimeter Satelliten-schaltkreise vor, durch die sie zu ihm kommt. Dieses kleinste und teuerste aller Fürstentümer. »Momentan geht es ausschließlich um Komplexität.«
»Es geht um deinen Willen in der Welt«, sagt der Mann, hebt die Arme und verschränkt die Hände hinterm Kopf.
Ein Schweigen folgt.
»Früher einmal habe ich geglaubt«, sagt die Stimme schließlich, »du würdest ein Spiel mit mir treiben. Du hättest das alles für mich erfunden. Um mich zu ärgern. Oder zu amüsieren. Um mein Interesse wachzuhalten. Um dir meine Protektion zu sichern.«
»Ich habe deine Protektion nie gebraucht«, sagt der Mann milde.
»Nein, vermutlich nicht«, fährt die Stimme fort. »Es wird immer welche geben, für die es wichtig ist, dass es gewisse andere nicht gibt, und die dafür bezahlen, dass ihr Wunsch in Erfüllung geht. Aber es ist wahr: Ich habe dich für einen x-beliebigen Söldner gehalten, für einen mit einer expliziten Philosophie vielleicht, aber ich habe in dieser Philosophie nicht mehr als eine von dir entdeckte Möglichkeit gesehen, dich interessant zu machen, dich von der Meute abzusetzen.«
»Wo ich bin«, sagt der Mann zu der grauen, neutralen Decke, »gibt es keine Meute.«
»O doch, die gibt es da sehr wohl. Clevere junge Dinger, die allerbeste Ergebnisse garantieren. Broschüren. Sie haben Broschüren. Und Zeilen, zwischen denen man lesen kann. Was hast du getan, als ich angerufen habe?«
»Geträumt«, sagt der Mann.
»Irgendwie hätte ich nicht gedacht, dass du träumst. War es ein schöner Traum ?«
Der Mann betrachtet die vollkommene Leere der grauen 176
Decke. Eine unvergessene geometrische Struktur von Gesichtsknochen droht sich dort zu formen. Er schließt die Augen. »Ich habe von der Hölle geträumt«, sagt er.
»Wie war sie?«
»Ein Fahrstuhl auf dem Weg nach unten.«
»Du meine Güte«, sagt die Stimme, »dieser poetische Ton passt überhaupt nicht zu dir.« Ein weiteres Schweigen folgt.
Der Mann setzt sich auf. Fühlt die Kühle des glatten, dunklen, polierten Holzes durch seine schwarzen Socken. Er beginnt, eine Abfolge sehr spezieller Übungen auszuführen, zu denen ein Mi-nimum an sichtbarer Bewegung gehört. Seine Schultern sind steif. In einiger Entfernung hört er einen Wagen vorbeifahren, Reifen auf nassem Asphalt.
»Ich bin momentan nicht sehr weit von dir entfernt«, bricht die Stimme das Schweigen. »Ich bin in San Francisco.«
Der Mann bleibt weiterhin stumm. Er fährt mit seinen Übungen fort und denkt dabei an den kubanischen Strand zurück, an dem man ihm diese Sequenz und ihre Variationen vor Jahrzehnten beigebracht hat. Sein damaliger Lehrer war der Meister einer Schule des argentinischen Messerkampfs gewesen, die von führenden Kennern der Kampfkünste mit aller Entschiedenheit für nicht existent erklärt worden war.
»Wie lange ist es her«, fragt die Stimme, »dass wir von Angesicht zu Angesicht miteinander gesprochen haben?«
»Einige Jahre«, sagt der Mann.
»Ich glaube, wir müssen uns jetzt treffen. Etwas Ungewöhnliches wird geschehen, und zwar schon sehr bald.«
»Ach«, sagt der Mann, und niemand sieht sein kurzes, wölfi-sches Lächeln, »du wirst doch nicht etwa satt werden?«
Ein Lachen, herabgestrahlt von den geheimen Straßen jener winzigen Stadtlandschaft im geosynchronen Orbit. »So etwas Ungewöhnliches nun auch wieder nicht, nein. Aber etwas ganz Grundlegendes wird sich in Kürze verändern, und wir sind nah am Ort des Geschehens.«
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»Wir? Wir haben momentan nichts miteinander zu tun.«
»Physisch. Geographisch. Es geschieht hier.«
Der Mann beginnt mit der letzten Sequenz der Übung. Er erinnert sich an die Fliegen im Gesicht des Lehrers bei jener ersten Demonstration.
»Warum bist du gestern Nacht zur Brücke gegangen?«
»Ich musste nachdenken«, sagt der Mann und steht auf.
»Hat dich nichts dorthin gezogen?«
Erinnerung. Verlust. Ein Fleisch gewordener Geist in der Market Street. Der Geruch von Zigaretten in ihrem Haar. Ihre kühlen Winterlippen auf seinen, sich öffnend, Wärme. »Nein, nichts«, sagt er, und seine Hände schließen sich um nichts.
»Es wird Zeit, dass wir uns treffen«, sagt die Stimme.
Seine Hände öffnen sich. Geben nichts frei.
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32
NETZKAPPEN
inten im Van stand das Wasser über einen halben Zentime-Hter hoch, als
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