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FutureMatic

FutureMatic

Titel: FutureMatic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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sollte.
    Er studierte erst eine Liste, dann eine andere. Er spürte so etwas wie einen kalten Luftzug im Nacken und glaubte einen Moment, die Ladentür sei offen, aber dann fiel ihm wieder ein, dass er sie abgeschlossen hatte.
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    »Verdammt«, sagte Fontaine und holte noch mehr solche Listen auf den Bildschirm. »Verdammt, wie bist du da rangekommen?«
    Es waren Bankunterlagen, vertrauliche Aufstellungen der Schließfachinhalte in Banken der Sorte, die man noch leibhaftig betreten konnte, alle anscheinend in Staaten des Mittelwestens.
    Und auf jeder Liste, die er sah, stand mindestens eine Uhr, die sehr wahrscheinlich zu irgendeinem Nachlass gehörte und sehr wahrscheinlich vergessen worden war.
    Eine Rolex Explorer in Kansas City. Irgendeine goldene Patek in einer Kleinstadt in Kansas.
    Er schaute vom Bildschirm zu dem Jungen. Ihm war bewusst, dass er gerade Zeuge von etwas total Anomalem geworden war.
    »Wie bist du in diese Dateien rein gekommen?« fragte er. »Dieses Zeug ist privat. Sollte eigentlich unmöglich sein. Ist unmöglich. Wie hast du’s gemacht?«
    Aber nur Abwesenheit hinter den braunen Augen, die seinen Blick erwiderten, entweder unendlich tief oder ohne jede Tiefe, er wusste es nicht.
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    HÖLLENFAHRT MIT BLICK VON EINEM

PFOSTEN
    r träumt sich einen riesigen, abwärts fahrenden Fahrstuhl, Egro ß wie der Ballsaal eines alten Passagierdampfers. Die Seitenwände sind teilweise offen, und er findet sie dort am Geländer, neben einem reich verzierten gusseisernen Pfosten, gearbeitet als Cherubim und Weintrauben, deren Konturen von unzähligen schwarzen,
    wie
    nasse
    Tinte
    glänzenden
    Emailleschichten gemildert sind.
    Jenseits des schwarzen Pfostens und der schmerzenden Eben-mäßigkeit ihres Profils erstreckt sich eine dunkel gewordene Welt in alle Himmelsrichtungen bis zum Horizont, Inselkontinente, schwärzer als die Meere, in denen sie schwimmen, die Lichter riesiger, dennoch namenloser Städte aus dieser Höhe, dieser Entfernung nur noch ein Glühwürmchengefunkel.
    Der Fahrstuhl, dieser Ballsaal, dieser nunmehr nicht sichtbare, aber als Hintergrund, als notwendige Gestalt wahrgenommene gastliche Raum für die Tanzenden fährt immerfort abwärts, wie es scheint, eine verschlüsselte Wiederholung der Geschichte, die den Träumenden zu dieser Nacht gebracht hat.
    Wenn es Nacht ist.
    Das schlichte Heft des Messers an seinen Rippen, durch ein ge-stärktes Frackhemd hindurch.
    Die Werkzeuggriffe eines Künstlers sind stets von absoluter Schlichtheit, denn die schlichtesten Formen lassen der Hand des Benutzers das größte Spektrum von Möglichkeiten.
    Was überkonstruiert, zu stark spezialisiert ist, nimmt das Er-174
    gebnis vorweg; die Vorwegnahme des Ergebnisses ist die Garantie für das Scheitern oder zumindest für fehlende Eleganz.
    Und nun wendet sie sich zu ihm, und in diesem Moment ist sie alles, was sie je für ihn war und noch mehr, denn er ist sich im selben Moment bewusst, dass dies ein Traum ist, dieser gewaltige, abwärts fahrende Käfig, und sie ist verloren, wie immer, und jetzt schlägt er die Augen auf und sieht die graue, absolut neutrale Decke des Schlafzimmers auf dem Russian Hill.
    Er liegt lang ausgestreckt auf der militärisch aufgemachten grauen Lammwolldecke, bekleidet mit seinem grauen Flanellhemd mit den Manschettenknöpfen aus Platin, seiner schwarzen Hose und den schwarzen Wollsocken. Seine Hände sind auf der Brust verschränkt wie auf einer mittelalterlichen Darstellung, ein Ritter auf seinem Sarkophag, und das Telefon klingelt.
    Er berührt einen der Manschettenknöpfe aus Platin, um das Gespräch anzunehmen.
    »Es ist nicht zu spät, hoffe ich«, sagt die Stimme.
    »Wozu?« fragt er, ohne sich zu bewegen.
    »Ich musste mit jemandem reden.«
    »Tatsächlich?«
    »Geht mir in letzter Zeit öfter so.«
    »Und woran liegt das?«
    »Es ist bald soweit.«
    »Was denn?« Und er sieht wieder den Blick aus dem riesigen, abwärts fahrenden Käfig.
    »Spürst du’s nicht? Du mit deinem richtigen Ort zur richtigen Zeit. Du mit deinem >Man muss den Dingen Zeit lassen, sich zu entfalten<. Spürst du’s nicht?«
    »Ich befasse mich nicht mit Ergebnissen.«
    »O doch«, sagt die Stimme. »Für mich hast du immerhin ein paar Ergebnisse erzielt. Da wird man zu einem Ergebnis.«
    »Nein«, sagt der Mann, »ich finde nur heraus, wo ich sein soll.«
    »Das klingt so einfach aus deinem Mund. Ich wünschte, es wäre auch für mich so einfach.«
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    »Das könnte es sein«,

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