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Fyn - Erben des Lichts

Fyn - Erben des Lichts

Titel: Fyn - Erben des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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belehrt.
    Ich verlor das Zeitgefühl. Da es kein Fenster gab und ich keine Taschenuhr bei mir trug, konnte ich die Tageszeit nicht einschätzen. Die Angst vor dem, was kommen würde, lähmte jeden klaren Gedanken. Ich hockte auf dem Eimer, bis mein Hinterteil schmerzte. Irgendwann erhob ich mich, ging ein paar Schritte umher und lehnte mich gegen die Wand. Doch nach einer gefühlten Stunde vermochten meine Beine mich nicht mehr zu tragen. So ließ ich mich auf den schmutzigen Boden sinken, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt. Hunger und Durst waren mein größtes Problem, wieder einmal. Ich hatte die Erinnerungen an Burg Denfolk verdrängt und geglaubt, ich wäre darüber hinweg, doch jetzt wurde mir bewusst, dass die Bilder noch lebendig waren. In Gedanken spielte ich das Szenario meiner Hinrichtung in allen Varianten durch, Zeit genug dazu hatte ich jedenfalls. Würde ich mich wehren? Würde ich weinen? Oder bekäme ich einen fairen Prozess, bei dem es mir gelingen würde, das Ruder herumzureißen und meine Unschuld zu beweisen? Eine meiner Fantasien widmete sich Vater, wie er mich auf Knien um Verzeihung anflehte. Die schönste meiner Zukunftsvisionen. Und wenn sie mich doch zum Tod verurteilten – Sinjar bewahre! – würde ich aufrecht und stolz zum Richtblock gehen. Nein, ich würde noch so viele dreckige Verräter töten, wie ich konnte, und sei es mit bloßen Händen. Ich fragte mich, ob Vater Wort halten und nicht zu meinem Prozess oder einer etwaigen Hinrichtung erscheinen würde. Vielleicht würde Arc kommen, mein einziger Freund … Aber er war nur eine Halbmaschine. Verspürte er überhaupt Trauer oder Mitgefühl?
    Ylenia … Sie hatte gesagt, sie würde mich mögen. Meine Hinrichtung sollte nicht ihre letzte Erinnerung an mich sein. Ich kam zu dem Schluss, dass es eindeutig mehr Alven und Menschen gab, die mich nicht mochten, als solche, die mich gern hatten. Immerhin hatte einer von ihnen mich so sehr gehasst, dass er mir Drogen in meinen Koffer schmuggelte. Vielleicht war es nur ein dummer Scherz gewesen, der völlig aus dem Ruder gelaufen war. Ich konnte und wollte nicht an einen perfiden Plan glauben. Wer hätte ahnen können, dass die Drogen mich zu einem Amoklauf verleiten würden?
    Meine Gedanken drehten sich im Kreis, bis mir schwindlig wurde. Meine Konzentration ließ zu wünschen übrig. Der Durst wurde zu einem ständigen Begleiter, der sich mehr und mehr in den Vordergrund drängte. Ich wünschte mir so sehr, mit jemandem sprechen zu dürfen. Es gab nichts, das mir verriet, wie schnell die Zeit verging, nicht einmal eine herunterbrennende Kerze. Ich saß auf dem kalten Steinboden, die Beine eisig und gefühllos. Ächzend wuchtete ich mich in eine aufrechte Position. Ein dringendes Bedürfnis quälte mich. Unter Tränen benutzte ich den Eimer und schob ihn danach in eine Ecke, doch bei einem derart kleinen Raum war es fast unmöglich, dem Gestank zu entfliehen. Ich ließ mich auf die Knie sinken. Sollte ich ein Gebet sprechen? Ich hatte nie an Sinjar geglaubt, zumindest nicht mit meinem Herzen. Ich wünschte mir, Halt im Glauben zu finden, und beneidete Menschen und Alven, denen das gelang.
    Nach einer gefühlten Ewigkeit übermannte mich schließlich Panik. Angstschweiß lief meine Wirbelsäule hinab. Ich ermahnte mich zur Ruhe, doch je verbissener ich es versuchte, desto weniger wollte es mir gelingen. Irgendwann packte mich Müdigkeit, doch schlafen konnte ich nicht. Ich nickte immer wieder ein, aber meine verspannten Muskeln schmerzten und meine Augen brannten. Einmal schreckte ich hoch, geweckt durch ein lautes, röchelndes Geräusch. Ich stellte fest, dass es meine Atemzüge waren. Meine Nase war geschwollen, geronnenes Blut klebte an meiner Oberlippe.
    Als ich das vierte Mal erwachte, hörte ich Schritte auf dem Gang, die mir in der völligen Stille laut wie Kanonenschläge vorkamen. Die Tür flog auf, ich zuckte zusammen. Ein in einen Umhang gehüllter Mann, den ich nie zuvor gesehen hatte, stellte einen Krug Wasser ab, rümpfte die Nase und schloss die Tür wortlos wieder. Ehe ich ihn fragen konnte, wie lange ich noch hierbleiben musste, war er bereits wieder verschwunden und seine festen Schritte hallten von den Kerkerwänden wider. Ich hätte wahrscheinlich ohnehin kein Wort herausgebracht, denn meine Zunge klebte am Gaumen. Gierig stürzte ich das kühle Wasser hinunter, bis auf den letzten Tropfen. Mir wurde übel, ich hatte zu schnell getrunken. Nur mit Mühe unterdrückte

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