Fyn - Erben des Lichts
zugetraut. Seit unserem letzten Besuch hatte jemand einige Tische und Stühle für den Unterrichtsraum herbeigeschafft, die im riesigen Gewölbe verloren wirkten. Wir verteilten uns rasch auf die Plätze und betrachteten neugierig unser Arbeitsmaterial auf den Tischen, das aus nur einer einzigen Glasmurmel bestand. Galren und Kel, die vor mir in der ersten Reihe saßen, warfen sich fragende Blicke zu und zuckten die Achseln. Zwei Plätze neben mir beobachtete ich Per, der die Glasmurmel in die Hand nahm, sie in die Luft warf und ihren Fall mit einer eleganten Bewegung seiner Finger abbremste, ohne die Murmel dabei zu berühren. Sie schwebte etwa einen Zoll über der Tischplatte. Dann griff er nach ihr und legte sie zurück an ihren Platz, jedoch nicht, ohne zuvor einen Blick in die Runde geworfen zu haben, um sich zu vergewissern, dass jeder sein Talent bestaunte. Ich grinste, denn außer mir hatte ihn niemand beobachtet. Als unsere Blicke sich trafen, setzte Per ein arrogantes Lächeln auf. Ich wandte mich von ihm ab. Zwischen uns saß Silena aufrecht und völlig ruhig, den Kopf nach vorn gerichtet.
Die quietschende Tür zur Halle öffnete sich, gefolgt vom schlurfenden Geräusch leichten Schuhwerks. Alle drehten sich um, als Myrius mit erhobenem Haupt auf uns zuschritt. Über seiner rechten Hand schwebte wieder einmal eine seiner magischen Lichtkugeln, unter dem linken Arm klemmte eine Mappe. Er ging zum Pult, das vor den beiden Stuhlreihen stand.
»Sie stehen gefälligst auf, wenn ich hereinkomme«, sagte er mit schneidender Stimme, die in der Stille der Halle unnatürlich laut wirkte und von den Wänden widerhallte. »Hoch mit dem Gesäß, aber ein bisschen zügig!« Wir gehorchten. Nachdem er uns gestattet hatte, uns wieder zu setzen, ließ er sich ebenfalls mit einem Ächzen auf seinen Stuhl sinken. Er legte die Mappe auf das Pult und sah uns allen einzeln in die Augen, bevor er sich räusperte und nach einer gefühlten Ewigkeit das Wort ergriff.
»Wie Sie sehen, liegt vor Ihnen auf dem Tisch eine Murmel. Heute werden Sie versuchen, diese Murmel durch die Kraft Ihrer Gedanken über den Tisch rollen zu lassen.« Wieder ein Blick in die Runde. »Es ist eine Übung, die selbst Kinder beherrschen.«
Ich starrte das daumennagelgroße Ding auf meinem Tisch an. Magie hatte ich mir etwas aufregender vorgestellt. Galren machte sich gleich daran, mit wilden Bewegungen um die Murmel herum zu gestikulieren, doch Myrius brachte ihn mit einem strengen Blick dazu, still zu sitzen. Bevor wir uns dem praktischen Teil der Unterrichtsstunde widmeten, würden wir uns mit der Theorie befassen müssen, sagte er.
Was folgte, war ein ellenlanger Vortrag über die Bedeutung der Magie für unser Land, über verschiedene Meditationstechniken, um seine Fähigkeiten zu verstärken und letztlich eine Instruktion, wie man sich richtig konzentrierte, damit die Magie fließen konnte. Auf mich wirkten seine blumigen Schilderungen über die Ekstase, die die Magie in einem Alven auslöste, wie ein albernes Kindermärchen, doch ich verkniff mir ein Schmunzeln. Hätte ich nicht gewusst, dass Myrius ein Meistermagier und somit eine Koryphäe seines Fachs war, hätte ich ihn für verrückt erklärt.
Gegen Ende der Unterrichtsstunde ließ Myrius uns seine Lehren in die Praxis umsetzen, was bei dem ein oder anderen auch auf Anhieb gelang. Per konnte seine Murmel sogar in einem definierten Muster über den Tisch rollen lassen – Schleifen, Spiralen, Kreise. Silena schaffte es ebenfalls nach nur wenigen Versuchen, die kleine Glaskugel ein paar Zoll über die Tischplatte zu bewegen. Wir anderen taten uns schwerer damit, obwohl ich am Ende der Einzige war, bei dem die Kugel sich keinen Fingerbreit bewegt hatte. Ich hasste mich für meine Schwächen, und erst recht, wenn andere sie mitbekamen.
»Sie müssen sich schon ein bisschen mehr anstrengen«, sagte Myrius in einem Tonfall, der seine kaum verhohlene Abneigung gegen mich zum Ausdruck brachte. Seine stechend blauen Augen verbrannten mich mit einem bösen Blick. Ich fragte mich, was ich ihm getan haben mochte, dass er mich derart scharf anging und kam zu dem Schluss, dass Myrius wohl jeden verachtet hätte, der diese kinderleichte Übung nicht bewerkstelligen konnte.
Ich gab auf und lehnte mich im Stuhl zurück. Beinahe wäre ich vor Schreck hinten übergekippt, denn auf dem leeren Platz neben mir saß Norrizz. Das hatte mir gerade noch gefehlt! Ich musste meine Wut im Zaum halten, damit ich ihm
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