Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fyn - Erben des Lichts

Fyn - Erben des Lichts

Titel: Fyn - Erben des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
Vom Netzwerk:
verriet mir ein Blick auf die Taschenuhr, dass das Abendessen bereits vorüber war. So lange hatte ich gebraucht? Ich ermahnte mich zur Ruhe. Wenn ich jetzt panisch wurde, würde ich vermutlich wieder etwas zerstören. Ich war gerade dabei, ein besonders filigranes Zahnrad einzusetzen, als eine Erschütterung den Boden und die Wände erzittern ließ. Ein Erdbeben. Ausgerechnet jetzt, wo es um Fingerspitzengefühl ging! Als ich erneut dazu ansetzte, das Zahnrad einzubauen, bebte der Boden abermals. Das war kein Erdbeben. Irgendein Idiot hatte etwas explodieren lassen. Sofort dachte ich an das magische Feuerwerk von Galren und Silena, das sie seit Wochen einstudiert hatten. Verärgert stand ich auf und ging zum Fenster. Was ich dort jedoch sah, hatte rein gar nichts mit einer Geburtstagsüberraschung gemein, es sei denn, jemand empfand es als schick, ein riesiges Loch in die Palastwand zu reißen. Für die Dauer mehrerer Sekunden fühlte ich mich außerstande, eine angemessene Reaktion zu zeigen, sei es Bestürzung, Angst oder Entsetzen. Ich stand einfach nur am Fenster und sah hinaus, als freute ich mich über schönes Wetter. Mein Verstand benötigte eine Weile, um zu begreifen, was sich vor dem Palast abspielte. Es war bereits dunkel draußen, aber Feuerschein, der aus dem Inneren des Gebäudes drang, hüllte den gesamten Vorplatz in ein rötliches Licht. Die Wände rechts und links des Eingangsportals fehlten komplett, ganz zu schweigen von dem Portal selbst. Ein riesiges Loch von mindestens zwanzig Yards Länge und zwei Yards Höhe klaffte im Erdgeschoss. Als sachkundiger Techniker konnte ich mit großer Sicherheit behaupten, dass die Statik des Gebäudes kaum noch gegeben sein dürfte. Mein Fenster war geschlossen, trotzdem drangen Schreie an meine Ohren – sowohl das panische Kreischen von Frauen als auch das Gebrüll von Befehlen. Gelegentlich ertönten Schüsse. Ich beobachtete, wie eine Gruppe fein gekleideter Menschen hinausstürmte, in ihren Gesichtern das blanke Entsetzen. Eine Salve Schüsse ging auf sie hernieder, woraufhin sie allesamt zu Boden gingen wie Marionetten, denen es an Spannung in den Fäden fehlte. Meine Augen wanderten umher und erblickten die Schützen. Es handelte sich um mehrere Personen, die sich hinter einem der zahlreichen Zierbeete versteckten. Sie waren zu weit vom Feuerschein entfernt, als dass ich ihre Gesichter oder Identitäten hätte erfassen können.
    Eine Hand berührte meine Schulter. Ich erschrak und fuhr herum, blickte jedoch nur in die fragenden Augen von Arc. »Was ist dort unten los?« Er schob sich an mir vorbei zum Fenster. Der Technoid benötigte anscheinend wesentlich weniger Zeit als ich, um einen klaren Gedanken zu fassen. »Wir müssen ihnen zu Hilfe kommen«, sagte er, seine blecherne Stimme klang dabei jedoch nüchtern wie immer. »Jemand hat sich Zugang zum Festsaal verschafft und greift den König und die Liga an.«
    Arc sah mir in die Augen, als wartete er auf einen Befehl oder ein Zeichen.
    »Du hast recht. Komm.«
    Als hätte ich mir damit selbst ein Stichwort gegeben, erwachten meine Lebensgeister. Ich stürzte zu meinem Bett und zog meine Armbrust sowie eine Handvoll Bolzen heraus. Ich legte mir den Trageriemen um die Schulter und steckte die Bolzen in eine daran befestigte Tasche. Dann riss ich den Deckel meiner Truhe auf und nahm mein Schwert heraus. Mit ungeschickten Fingern schloss ich den Schwertgurt. Ich rannte auf den Flur, Arc blieb mir dicht auf den Fersen. Wir nahmen mehrere Stufen zugleich und verließen den Perlenturm, in dem sich außer uns beiden niemand mehr aufgehalten hatte. Kurz schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich mich hier hätte verschanzen können, aber Feigheit war eine Eigenschaft, die mir sauer aufstieß. Mein König war in Gefahr, vielleicht auch Vater. Und Silena …
    Mit großen Schritten rannte ich über den schneeweißen Kiesweg zum Hauptgebäude des Palastes. Die Kampfgeräusche wurden zunehmend lauter. Jetzt nahm ich auch deutlich das Gurgeln, Röcheln und Winseln von Sterbenden wahr, der metallische Geruch von Blut stieg mir in die Nase. Als ich mich dem Loch in der Außenwand näherte, stolperte ich über etwas Weiches. Ein Blick nach unten verriet mir, dass der Boden mit Leichen gepflastert war. Blut färbte den weißen Kiesweg rot. Ich hörte Schüsse unweit neben mir in den Boden einschlagen. Die Angreifer töteten anscheinend alles, was von innen nach außen flüchtete, auch mich hatten sie nun im Visier.

Weitere Kostenlose Bücher