Gabe der Jungfrau
schrie Veit ihn an.
»Ich habe den Rauch gesehen und wollte nach den Nonnen schauen«, stammelte der Bursche.
»Lüg mich nicht an!« Veit teilte mit einem wuchtigen Schlag die Luft, sodass das Schwert laut am Kopf des Jungen vorbeizischte. Eingeschüchtert wich der junge Mann einen Schritt zurück.
»Du wolltest plündern! Gib es zu!«
»Nein«, flüsterte der Fremde, »das würde ich nie tun! Ich bin Tagelöhner und komme jedes Jahr zur gleichen Zeit hier vorbei, um den Nonnen bei ihrer schweren arbeit im Weinberg zu helfen. Dafür geben sie mir zu essen und ein Lager außerhalb der Klostermauern – oben, in einem kleinen Verschlag im Berg. Jetzt ist wieder die Zeit, in der ich ihnen helfe. als ich den Rauch und Wölfe in den Hängen gesehen habe, überkam mich ein ungutes Gefühl, und ich bin hierhergelaufen. Doch ich kam zu spät.« Die letzten Worte hatte er nur noch geflüstert, denn sein Blick war an einer der Leichen hängen geblieben.
Anna Maria konnte Tränen in seinen augen erkennen. »Ich glaube, er sagt die Wahrheit«, sagte sie an Veit gewandt, der daraufhin das Schwert sinken ließ.
»Weißt du, wer das getan haben könnte?«
Zögerlich antwortete der Bursche. »Im ganzen Land werden Klöster und sogar Kirchen geplündert und in Brand gesteckt. Doch heute erlebe ich zum ersten Mal, dass man Nonnen Leid zufügt. Sonst hat man sie nur vertrieben, aber nicht getötet. Doch fehlt es nie an bösen Menschen, die Lust verspüren, anderen das Leben zu nehmen.«
»Aber warum diese Überfälle auf Klöster?«, fragte anna Maria.
Der junge Mann zuckte ratlos mit den Schultern, doch Veit entgegnete: »Ich habe gehört, dass schon seit einigen Jahren
versucht wird, den Klerus, der die Menschen aussaugt, zurückzudrängen. anscheinend greifen einige dabei jetzt zu anderen Mitteln.« an den Fremden gewandt, sagte er dann: »Komm, hilf mir, Bursche! Du kannst den Nonnen einen letzten Dienst erweisen« und drückte ihm eine Schaufel in die Hand.
Nachdem die Toten beerdigt waren, trat Veit zu anna Maria, die wieder an Bernadettes Seite wachte und die Hand der Sterbenden hielt. »Ich habe den Burschen fortgeschickt«, flüsterte er. Unter Tränen schilderte anna Maria ihm jetzt ihre Begegnung mit den beiden Nonnen vor einigen Jahren in Mehlbach. »Wäre ich ihnen gefolgt«, wisperte sie, »mich hätte sicher das gleiche Schicksal ereilt.« Veit nahm anna Maria in den arm, und ihr Kopf sank auf seine Schulter.
Schwester Bernadette schien sich ihrem Schicksal nicht fügen zu wollen. am vierten Tag erwachte sie aus ihrem Dämmerzustand. Mit glasigen augen blickte sie zu anna Maria auf. »Ich habe deine Stimme schon einmal gehört«, flüsterte sie. als anna Maria sie an ihre Begegnung auf dem Hügel vor Mehlbach erinnerte, huschte ein Lächeln über das Gesicht der Nonne, und sie bat: »Sing mir ein Lied!« Mit heller Stimme sang anna Maria dasselbe Lied wie damals. Veit stand neben ihr und lauschte. als anna Maria zu singen aufhörte, zitterten Bernadettes Lippen, doch sie blieb stumm. Ein friedlicher ausdruck lag auf ihrem Gesicht, bevor sie ihren letzten atemzug tat. als anna Maria begriff, dass sie von ihnen gegangen war, vergrub sie weinend das Gesicht in den Händen.
Veit beerdigte Bernadette neben ihren Schwestern auf dem kleinen Friedhof bei den Klostermauern. am darauffolgenden Morgen setzten anna Maria und Veit ihren Weg nach Mühlhausen fort, froh, den Ort des Grauens hinter sich lassen zu können.
Kapitel 15
Auf seinem Weg von Oberschwaben nach Thüringen lauschte Thomas Müntzer dem Wort des gemeinen Mannes und nutzte die Gelegenheit, um Gleichgesinnte zu treffen. auch schürte er mit seinen eigenen Reden das Feuer, das fast überall im Reich loderte. Mitte Februar erreichte Müntzer die Reichsstadt Mühlhausen, wo seine anhänger ihn stürmisch begrüßten. Schon bald wählten sie ihn zum Pfarrer in der Marienkirche, dem größten Gotteshaus der Stadt. Von Stund an nutzte er jede Gelegenheit, um zu predigen – sogar auf dem Land und in den Vorstädten der Reichsstadt. Stets hatte er die Bibel dabei und ließ in seine Reden einfließen, dass der Geist des Herrn über ihn gekommen sei, um die armen zu trösten und die Kranken gesund zu machen.
Die Menschen strömten aus den Dörfern in die Stadt hinein, um Müntzer reden zu hören. Der Stadtrat war anfangs hilflos und ließ ihn gewähren, ordnete dann jedoch die Schließung der Stadttore an. Nun brach der Sturm innerhalb der Stadtmauern
Weitere Kostenlose Bücher