Gabe des Blutes
noch Sorgen, aber …«
»Aber er macht sich immer Sorgen. Zumindest was dich betrifft.«
»Rye tut mir nichts«, sagte sie. »Darüber ist er längst hinweg. Er schämt sich sogar für sein Verhalten. Er ist zu streng mit sich. Er fühlt sich nicht gut, wenn er zornig auf mich ist, aber es ist ganz normal, dass das während des Heilungsprozesses manchmal hochkommt. Es waren seine Irrationalität und sein Mangel an Selbstkontrolle, die ihn für mich gefährlich gemacht haben, doch das meiste habe ich mit meinen Naturheilmitteln kuriert.«
»Es muss schwer für ihn sein, sich selbst nicht vertrauen zu können und zu wissen, dass Reule ihm nicht vertraut.«
»Stimmt. Aber mit etwas Geduld kommt das im Laufe der Zeit wieder. Ich vertraue ihm. Und Reule vertraut ihm ebenfalls. Bald wird Rye Vertrauen in sich selbst finden. Du liebe Güte, was machst du da? Das riecht ja ekelhaft.«
»Das ist eine Brandsalbe«, sagte Liandra überrascht. »Und es riecht wie süßes Bettelkraut. Ich liebe diesen Geruch.« Lia schnupperte an dem Tiegel.
»Puuuhh. Ich hoffe, die Mischung stimmt. Mir scheint sie überdosiert zu sein.«
»Keineswegs«, entgegnete Lia verstimmt. »Meine Salbe ist in Ordnung.«
»Meine Damen.«
Lia und Mystique blickten zur Tür, wo Reule im Türrahmen lehnte. Seine breiten Schultern verdeckten das Licht, das von der Krankenstation hereinfiel. Mystique lag augenblicklich in seinen Armen, und er verschloss ihren Mund mit seinem. Befriedigt nahm er ihren Geschmack in sich auf, bis er keine andere Wahl hatte, als sie loszulassen, oder er hätte sie in die Privatgemächer schleppen müssen. Wenn er es recht bedachte, gefiel ihm die Nische unter dem ersten Treppenabsatz immer besser.
Mystique entzog sich ihm und stieß ihn im Spaß vor die Brust, obwohl das eher so war, als würde eine lästige Fliege auf einem Elefanten herumkriechen. »Hör auf«, rügte sie ihn, während sie sich mit den Fingern über den feuchten Mund fuhr und errötete. Seit sie die Rudelzeremonie hinter sich gebracht hatte, die sie mit den Männern als deren Prima verband, war sie viel empfänglicher für deren Gegenwart und Wahrnehmung geworden. Ihre Intuition war beinahe zur Vorahnung geworden und ungefähr so wie Gedankenlesen. Nicht einmal Reule konnte seine Absichten vor ihr verbergen. Wie zum Beispiel bestimmte Nischen aufzusuchen …
Er grinste. Manchmal stellte er sich einfach gern wilde Sachen vor, um sie nervös zu machen.
»Lothas ist heil angekommen. Er sagt, Derrik kommt nur einen Tag später. Der Schneesturm vor zwei Tagen kam sehr gelegen. Und du weißt, dass ich nie gedacht hätte, dass ich so etwas jemals sagen würde.« Er grinste gemeinsam mit Lia.
»Wenn der Winter uns neue Freunde mit Verträgen und Handelsabkommen bringt und uns die Schakale vom Hals hält, weil sie in Höhlen oder in der Wüste Zuflucht suchen, wirst du die Jahreszeit vielleicht sogar noch schätzen lernen«, bemerkte Mystique, während sie sich wieder an ihren Mann schmiegte.
»Es wäre ein Wunder, aber es hätte vielleicht etwas für sich«, sagte Reule mit ungläubigem Kopfschütteln. »Und was dich betrifft, Liandra«, sagte er und schlug dabei einen ernsteren Tonfall an, »wirst du am Ende des Monats zum Rudelmitglied erhoben. Bist du bereit?«
»So bereit, wie eine gewisse Frau es nur sein kann.« Sie ließ ihre Salbe in das Gefäß platschen und beugte sich neugierig vor. »Wusstest du, dass Delano mich in Selbstverteidigung unterrichtet? Mystique hat mir etwas von ihren Männersachen gegeben, und es ist wirklich befreiend! Darcio hat mich vor Kurzem erwischt, wie ich im Herrensitz geritten bin, und ihn hätte fast der Schlag getroffen. Man sollte meinen, er ist es gewöhnt, da seine Prima es ziemlich oft tut, aber nein … Stattdessen schimpft und zetert er, als hätte ich ein Verbrechen begangen.«
»Was hast du denn zu ihm gesagt?«, fragte Mystique schelmisch. Lia errötete. »Etwas, was ich lieber nicht wiederhole. Unnötig zu erwähnen«, fuhr sie kichernd fort, »dass er mich nicht noch einmal behelligen wird.«
»Darauf würde ich nicht wetten«, murmelte Reule.
Mystique stieß ihm mit dem Ellbogen in die Rippen und lächelte Lia an.
»Dann würde mich interessieren, was er über mich denkt. Aber gut. Du tust einfach, wonach dir der Sinn steht«, sagte Mystique weise. »Der Schattenmann des Primus hat kein Recht, dich in deinem Verhalten zu maßregeln.«
»Das war die nette Version von dem, was ich zu ihm gesagt habe.«
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